Nur ein Jahr, Jessica!
eingepackt!
Die Tür ging auf. Nein, nicht Frau Frisch-Nielsen trat ein, sondern eine von den sie besuchenden Damen.
„Hoffentlich störe ich nicht, Fräulein Jessica?“
Ich stand auf und legte die Strickarbeit auf den Tisch. „Durchaus nicht, gnädige Frau! Kann ich etwas für Sie tun?“
„Ja, wissen Sie…“ Sie machte plötzlich eine Pause, ihre Augen hingen an der Strampelhose auf dem Tisch. „Sie sind so fleißig, Fräulein Jessica, was für ein hübsches Muster!“
„Finden Sie? Ich habe es mir bei einer Freundin abgeguckt. Ich muß schon fleißig sein, es eilt jetzt!“
Ich dachte an Reni, die kleine, liebe, stupsnäsige Reni, die bald ihr Baby bekommen sollte.
„Ach ja, was ich sagen wollte – die Zitronencreme hat so herrlich geschmeckt, könnte ich vielleicht das Rezept bekommen, wenn es kein Geheimnis ist?“
„Nein, es ist kein Geheimnis, ich schreibe es Ihnen sofort ab. Es freut mich, daß es Ihnen geschmeckt hat.“
„Ist sie auch nicht zu gefährlich für die schlanke Linie?“
„Bestimmt nicht! Es ist sehr viel Eiweiß drin, das kurbelt ja den Stoffwechsel an, und man kann die Speise auch mit Süßstoff statt mit Zucker süßen. Ich schreibe es Ihnen gleich auf, gnädige Frau.“
Die Dame bedankte sich und ging – aber von der Tür aus warf sie mir einen so komischen Blick zu. Nanu, was sollte das nun bedeuten? Hatte ich etwas Falsches gesagt? Ach, der „Stoffwechsel“ – klang das ein bißchen zu wissenschaftlich? Wenn nun auch die Gnädige plötzlich daraufkäme, daß auf einem Brief an mich „Cand. med.“ gestanden hatte! Ach wie dumm, das wäre mir gar nicht lieb, wenn sie sich vielleicht dazu verpflichtet fühlen würde, mich anders zu behandeln, weil ich eine viel bessere Ausbildung als sie selbst habe.
Ich schrieb das Rezept ab und brachte es der Dame. Als ich ins Zimmer trat, verstummte plötzlich das Gespräch, und der Direktor beeilte sich, etwas Belangloses zu sagen, das gerade deswegen äußerst unnatürlich klang. Kein Zweifel! Sie hatten von mir gesprochen.
Verflixt noch mal, dachte ich, als ich zu meiner Küche und meiner Strickarbeit zurückkehrte.
Als ich am folgenden Morgen dem Direktor seinen Kaffee und das weichgekochte Ei brachte, räusperte er sich.
„Sagen Sie, Fräulein Jessica – ich nehme an, daß Sie nicht allzulange in dieser Stellung bleiben werden?“
Da haben wir den Salat! dachte ich. „Nein, das stimmt schon, Herr Direktor. Aber ich werde die Kündigungsfrist einhalten. Sie bekommen rechtzeitig Bescheid, wenn es soweit ist.“
„Sie hätten uns das gleich sagen müssen, Fräulein Jessica.“
„Ja – das hätte ich vielleicht – aber – ich – ich – offengestanden, Herr Direktor, brauchte ich dringend das Geld. Und wenn ich alles erzählt hätte, wäre die Situation nur komplizierter geworden. Und vielleicht hätten Sie dann gar nicht… Ach, soll ich rangehen?“
Das Telefon hatte geläutet. Es war Fräulein Clewe. Sie müsse den Direktor ganz dringend sprechen.
Er trank im Stehen den letzten Schluck Kaffee, ließ seine hingeworfene Serviette liegen und eilte davon. Na ja, er hatte wohl etwas Wichtiges vergessen, das Gespräch deutete darauf hin.
Ich brachte der Gnädigen das Frühstückstablett. Auch sie hatte es eilig. Sie mußte zum Friseur, zur Maniküre, zur Gesichtsmassage und der Himmel weiß zu was noch. Nachmittags wurde gepackt und alles ins Auto verstaut, und die Herrschaften gingen früh ins Bett. Sie wollten am folgenden Morgen gegen sechs starten.
Bei dem frühen, eiligen Morgenkaffee wurde nichts gesprochen, jedenfalls kein Wort, das mich anging. Ich half, die letzten Sachen ins Auto zu tragen, die beiden sagten „Auf Wiedersehen“, ich wünschte gute Fahrt und viel Vergnügen – und dann brausten sie los.
So! Nun schnell die Wohnung in Ordnung bringen und dann die letzten Reihen vom Strampelanzug stricken, das Ganze waschen und dämpfen, dann packen, Reni schreiben – oh, es war schön, allein zu sein und sich nur um die eigenen Sachen kümmern zu brauchen!
Ich hatte gerade die Wohnung und die Küche aufgeräumt, die Betten frisch bezogen, und setzte mich hin. Ausnahmsweise in einen bequemen Sessel im Wohnzimmer – mit meiner Strickarbeit. Da klingelte es an der Tür.
Ich warf einen Blick durchs Guckloch, dann nahm ich seelenruhig die Sicherheitskette ab. Draußen stand keine verdächtige Person, es war ihre Unentbehrlichkeit, Fräulein Clewe!
„Guten Morgen. Fräulein Clewe, das ist aber
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