Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
Vom Netzwerk:
immer unterstellt, wir könnten keine Geheimnisse hüten. Aber sie werden mir nicht vorwerfen können, dass ich daran gerührt hätte …«
    »Aha, diesen ›Bankraub‹ muss wohl ein Mann verüben«, seufzt Koldobike. »Jetzt wissen wir wenigstens, warum du, Sam, mitkommen musstest.«
    Ich beobachte Bidane aufmerksam. In ihrem Gesicht spiegelt sich alles, von Angst bis hin zu Erleichterung. Wenn sie nicht daran »rühren« will, dann muss das eben ich tun; irgendwann werde ich meine Mutter danach fragen, wo sie ihr baskisches Papiergeld versteckt hält. Kurz versichere ich mich noch einmal, dass Bidane mir wirklich ihr stilles Einverständnis gibt, dann schreite ich zur Tat.
    Der Sessel ist unheimlich schwer. Ich packe ihn an der hohen Rückenlehne und kippe ihn langsam nach hinten, auf den letzten Zentimetern rutscht er mir jedoch aus den Fingern, sodass ich schnell zur Seite springe, bevor er auf meinen Zehen landet. Der dumpfe Aufprall wird begleitet von einer Wolke Staub. Als sie verflogen ist, trete ich wieder näher. Ein ziemlich großer Holzkasten nimmt den ganzen Sesselboden ein; dem hellen Holz nach zu urteilen, hat ihn irgendein geschickter Handwerker der Familie nachträglich eingebaut. Wenn sein Inneres mit Geldscheinen gefüllt sein sollte, dann ist mir Bidanes Respekt davor durchaus verständlich. Tastend mache ich mich auf die Suche nach dem Kastenschloss, eine der Längsseiten erweist sich dann aber als Schiebedeckel. Kaum schiebe ich ihn auf, quillt auch schon sein Inhalt heraus, so als ob einem Chirurg beim Aufschneiden eines Bauchs die ganzen Eingeweide entgegenkommen. Nur dass nicht blutiges Gedärm auf den staubigen Boden fällt, sondern eine schwere Kette.

18 Der springende Punkt
    An beiden Enden befinden sich kleine Schlösser, besser gesagt, einige Kettenglieder davor, genauso viele, wie es braucht, um die Hälse der Zwillinge zu umschließen, und irgendwo in der Mitte des Kettengewirrs ist auch ein großes Vorhängeschloss zu sehen. Wir können uns also ganz sicher sein, dass die Kette dieselbe ist, mit der die Zwillinge an den Felsen gekettet waren – aber heißt das auch, dass sie
der
stichhaltige Beweis ist, um diesen alten Fall zu lösen? Weniger als die Kette selbst verrät uns das verwirrende Verhalten der Hausherrin, dass damit wirklich der Hauptgewinn vor uns liegt und wir gleich Entscheidenes erfahren werden. Die Art und Weise, wie Bidane uns, wieder in der guten Stube, ansieht, lässt uns das zumindest glauben.
    Möglich, dass wir den Mörder damit also haben, doch bekäme ich dafür noch keine Medaille verliehen und ebenso wenig einen Vertrag für meinen Roman. Es ist ein reiner Glücksfall, dass uns die Kette in die Hände gefallen ist, hätte Bidane uns nicht durch das ganze Haus zu diesem Ohrensessel gelotst, würde ich bei meinen Ermittlungen noch immer auf der Stelle treten.
    »Du hast sie also vorher noch nie gesehen. Bis heute nicht.«
    Die schwere Kette liegt wie eine zusammengerollte Schlange vor uns auf dem Tisch und scheint mir irgendetwas sagen zu wollen. Nur was?
    »Nein, nie«, antwortet Bidane mit tonloser Stimme.
    »Aber du wusstest, dass sie irgendwo im Haus versteckt ist.«
    »Ich habe gesehen, wie er sie heimgebracht hat.«
    »Nachdem er sie aus seiner eigenen Eisenwarenhandlung gestohlen hatte, hat er sie also auf euren Dachboden geschleppt. Woher wusstest du, wo er sie versteckt hat?«
    »Ich bin ihm gefolgt.«
    »Wie hast du das bei den knarrenden Stufen geschafft?«
    »Ich bin nicht hoch, ich habe von unten gelauscht. Den Geräuschen nach zu urteilen, war klar, dass er sich an dem Sessel zu schaffen machte. Kurz darauf kam er mit einem vollen Sack wieder runter.«
    »Klar, die Geldscheine. Und wo hat er die verbrannt?«
    »Verbrannt? Eher lässt er sich das Fell über die Ohren ziehen, als Geld zu verbrennen, und wenn es noch so wertlos ist. Er hat es fortgeschafft. Keine Ahnung, wohin. Am nächsten Morgen bin ich jedenfalls auf den Dachboden hoch und habe nachgesehen. Und da fand ich die Kette.«
    Stille breitet sich aus. Die Frau muss gerade Schreckliches durchmachen.
    »Was für eine Überraschung!«, fällt mir in meiner Verlegenheit nur ein. »Auf einmal zu entdecken, dass der Mörder …«
    Auf Bidanes Gesicht zeigt sich ein verstörendes Lächeln, bevor sie in einer Mischung aus Schmerz, Trauer und vielleicht Wut murmelt:
    »Überraschung? Was für eine Überraschung?«
    Ich sehe Koldobike an. Sie ist genauso verwirrt wie ich. Wenn hier jemand

Weitere Kostenlose Bücher