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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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ich mir eingestehen muss – doch im Dach sind deshalb immer noch keine Löcher. Bidane lässt sich jedoch nicht beirren.
    Ich versuche sie deshalb anders zu beruhigen.
    »Kein Mensch ist so dumm und versteckt sich in einem Dachboden voller Wanzen und Flöhe. Und wenn er wirklich irgendwie hereingekommen wäre, hätte er doch schon längst zugeschlagen.«
    »Morde passieren immer zu nachtschlafender Zeit«, versichert die Frau mit weit aufgerissenen Augen. »Und wer weiß, womöglich hat er mich nur noch nicht umgebracht, weil ihr rechtzeitig gekommen seid, und jetzt versteckt er sich irgendwo. Hier oben gibt es dafür jede Menge Schränke, Truhen und sonstiges Gerümpel. Als Kind habe ich hier immer mit meinen Freunden aus der Nachbarschaft gespielt, und wer dran war, hat die anderen nie gefunden.« Sie schwenkt ihre Petroleumlampe ein wenig nach rechts. »Der beste Ort war übrigens unter diesem breiten Sessel da. Der ist so hochbeinig, dass ein Kind ganz darunterkriechen konnte.«
    In einem baskischen Bauernhof findet man normalerweise keine Sessel, umso mehr wundert es mich, hier einen Ohrensesselzu sehen. Die Basken sind nämlich ein arbeitsames Volk und haben keinen Sinn für Müßiggang. Sie haben Stühle, Bänke, Schemel und natürlich Betten; aber Hängematten sucht man zum Beispiel vergeblich, trotz der vielen Apfel-und Feigenbäume. Dementsprechend entschuldigt Bidane sich auch schon dafür, indem sie erklärt, der Sessel sei das Geschenk eines Onkels, der nach Amerika ausgewandert sei, und nach dem Tod der Großmutter, die kaum je Gebrauch von ihm gemacht habe, hätten ihre Eltern ihn eben auf den Dachboden gebracht.
    In der nächsten Viertelstunde lässt sie mich Truhendeckel heben, Schranktüren öffnen und sogar hineinklettern, um mich davon zu überzeugen, dass sie wirklich leer sind. Auch scheint sie genau zu wissen, wo draußen die Feigenbäume stehen, und führt mich an die entsprechenden Stellen, wo ich an losen Dachziegeln rütteln oder mit der Hand zwischen die Dachlatten fassen soll, um zu prüfen, wie viele zerbrochen sind. Von besorgniserregenden Löchern fehlt dennoch jede Spur. Gibt es noch mehr Sessel, oder kommen wir während unserer Inspektion in schöner Regelmäßigkeit immer wieder an demselben vorbei? Jedes Mal klopft Bidane entweder etwas Staub aus dem Sitzpolster, rückt ihn ein paar Zentimeter zur Seite oder erzählt uns aufgeregt irgendeine Anekdote, wie die Geschichte von dem baskischen Geld, »das meine Mutter beim Einmarsch der Nationalen im Geheimfach des Sessels versteckt hat«. Dabei blickt sie mich durchdringend an, selbst als Koldobike bemerkt: »Das haben doch viele Familien gemacht. Doch nun ist es wertlos.« Worauf Bidane kleinmütig erwidert: »Hätten wir dieses Pack bloß damals besiegt. Jetzt sind sie wie die Kletten.«
    »Sind die Scheine noch immer dort drin?«, frage ich, um sie von dem traurigen Thema abzulenken.
    »Ja, sicher. Willst du …?«
    Ganz aufgeregt zeigt sie mit der Fußspitze hin und verharrt so bewegungslos, bis in mir irgendwie eine Ahnung aufsteigt, dass sie mir die Initiative überlässt. Bloß: Warum? Weil wir mit der Inspektion des Dachbodens fertig sind, ohne irgendwen entdeckt zu haben, und sie jetzt nicht mehr weiterweiß? Koldobike scheint Ähnliches zu denken.
    »Gut, dann lasst uns wieder runtergehen, irgendwas krabbelt mir schon die Beine hoch.«
    Ja, das ist ein guter Grund, zu gehen. Mein geschundener Körper könnte ein paar Stunden Schlaf jedenfalls gut gebrauchen. Wir könnten also die Petroleumlampe nehmen und uns auf den Rückweg machen … Ich frage mich, warum wir es immer noch nicht tun. Irgendwie scheint Bidane sich nicht von diesem Sessel losreißen zu können. Rührt sie dieses Ungetüm aus ihrer Kindheit so sehr? Gähnend trete ich zwischen sie und das Möbelstück, um sie aus ihren Gedanken zu reißen.
    »Niemand wird mir je vorwerfen können, dass ich sie rausgeholt habe«, flüstert Bidane plötzlich mit vollkommen fremd klingender Stimme.
    Redet sie von den entwerteten Geldscheinen? Wieder spricht Koldobike meine Gedanken aus:
    »Mein Gott, Bidane, sag endlich, was du von uns willst: Wenn du Angst hast, dass die Faschistenschweine die zerknitterten Scheine finden und du sie nicht rausholen kannst, weil deine Mutter sie reingestopft hat, dann erledigen eben wir das, dazu sind wir hier. Ein hübsches Feuer wird das im Garten!«
    Sie macht einen Schritt auf den Sessel zu, doch Bidane hält sie zurück.
    »Uns Frauen wird

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