Nur eine Ohrfeige (German Edition)
der Hand, die Sporttasche über der Schulter. Gleich würde sie ins Auto steigen und losfahren. Sollte sich das kleine Aas doch zu Tode brüllen. Sollte es doch ersticken.
Sie hatte die Tür aufgemacht und einen Blick auf die Straße geworfen. Es war Sommer, die Sonne schien, kein Lüftchen wehte, und es war niemand zu sehen. Gut zehn Minuten hatte sie in der Tür gestanden, die Tasche geschultert, die Faust um die Schlüssel geballt und in die Welt hinausgeschaut. Du bist nicht frei, hatte sie sich gesagt. Wenn du das hier überleben willst, wenn du weder dich noch dein Kind umbringen willst, musst du dir bewusstmachen, dass du nicht mehr nur allein für dich verantwortlich bist.Von nun an, bis es auf eigenen Beinen stehen kann, hat dein Leben keine Bedeutung mehr – sein Leben ist das Einzige, was zählt. Daraufhin war sie wieder hineingegangen und hatte die Tür hinter sich geschlossen, hatte die Straße und die Welt ausgesperrt. Dann hatte sie ihr schreiendes Baby hochgenommen und es fest an sich gedrückt. Hugo, Hugo, es ist alles in Ordnung, hatte sie geflüstert. Alles wird gut. Ich bin bei dir.
Er war der Mittelpunkt, er ergriff Besitz von ihrem Körper. Sie verlor sich in ihm. So hatte sie sich befreit. Nicht, dass deswegen der Schmerz nicht mehr da gewesen wäre. Es war, als hätte sie inmitten der unglaublichen körperlichen Qualen von Hugos Geburt eine Traurigkeit befallen, die nie mehr weggehen sollte. Er hatte sie gebrochen, das Mädchen in ihr zerschlagen. Aber ganz langsam, fest entschlossen und mit aller Kraft, gelang es ihr, die Scherben wieder zusammenzusetzen. Nur wenn Hugo oder Gary nicht bei ihr waren, wenn sie sie allein ließen, kam die Melancholie wieder zum Vorschein. In jenen ersten Monaten war Gary wundervoll gewesen, hatte sie gepflegt, sie getröstet, sie gelobt, sie gehalten, sie beschützt. Am besten verstanden sie sich, wenn sie allein und vom Rest der Welt abgeschottet waren. Ohne Gary und ohne ihr Kind konnte sie nicht überleben.
In der Nacht träumte sie von Qui. Er erschien ihr so real, dass sie sich noch Tage später sein Gesicht deutlich in Erinnerung rufen konnte. Der feste Griff seiner trockenen, starken Hände, der misstrauische, hin und wieder vorwurfsvolle Blick seiner rabenschwarzen Augen, seine kühle, glatte Haut. Der Inhalt des Traums selbst war weniger klar. Als sie morgens aufwachte, konnte sie sich nur bruchstückhaft daran erinnern. Sie hatten abends in einem Restaurant hoch über dem Hongkonger Hafen gesessen. Später hatte er sie gevögelt, ein Aufflackern brutaler, pornographischer Bilder, die durchaus der Realität entsprachen. Der Sex mit ihm war hart und dreckig gewesen, und als sie aufwachte, hatte sie sich beschmutzt gefühlt. Hugo lag zusammengerollt neben ihr, Gary schnarchte,und sie kroch leise aus dem Bett. Sie lief nackt ins Bad und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Haut war weiß und makellos wie die einer jungen Frau. Nur ihre Brüste verrieten ihr Alter. Sie waren sicherlich voller als zu Quis Zeiten, und inzwischen wiesen sie verräterische Schwangerschaftsstreifen auf und waren auch nicht mehr ganz so straff. Himmel, Rosie, ermahnte sie sich, du warst achtzehn.
»Neulich habe ich von meinem ersten Liebhaber geträumt.«
»
Lieb-haber
.« Shamira zog das Wort absichtlich in die Länge. »Meine Güte, was für ein starkes Wort.«
Rosie musste lachen. »
Freund
trifft es einfach nicht.«
Womit sie recht hatte. Qui war zwanzig Jahre älter als sie gewesen, Liebhaber war das einzig richtige Wort. Sie war sicher, dass Shamira gespannt auf weitere Informationen wartete. Der Name Qui würde ihr natürlich nichts sagen.
»War keine große Sache. Es ist nur komisch. Ich habe seit Jahren nicht an ihn gedacht.«
»Wie hat Gary die Sache mit der Anhörung aufgenommen?«
»Gut. Er war froh.«
Und das schien er tatsächlich zu sein. Er hatte das Schreiben kurz überflogen und es ihr zurückgegeben. Gut, hatte er gesagt. Seit Monaten warte ich darauf, dass diese Scheißgeschichte vom Tisch ist. Er ging zum Kühlschrank und holte sich ein Bier raus. Sie hatte ihn misstrauisch beobachtet, aber er zeigte keinerlei Anzeichen von Wut. Es war ein perfekter Freitagabend gewesen. Fish and Chips und danach bescheuerte englische Polizeiserien auf ABC gucken und dabei aneinandergelehnt einschlafen.
»Kann ich es Bilal erzählen?«
»Natürlich.«
Shamira war nicht interessiert an Qui. Zu Recht. Qui war zwanzig Jahre her. Qui war vor ihrer Ehe und dem
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