Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Kind gewesen, vor Melbourne. Sie hörte Hugo durch den Flur auf sie zu rennen. Gleich würde Gary aufwachen.
»Ich muss aufhören.«
»Dann bis um zehn.«
»Genau«, erwiderte Rosie. Sie legte auf, setzte Kaffee auf und machte einen Toast für Hugo, der sie aus seinen blauen Augen hungrig ansah. »Busen«, flehte er. Sie freute sich jedes Mal, wenn er das sagte.
Gary sagte das ganze Frühstück über so gut wie kein Wort und stürmte aus der Tür, kaum dass er seinen Kaffee zu Ende getrunken hatte. Sie wusste genau, warum er sauer war: Er konnte es nicht leiden, dass sie Shamira bei der Hausbesichtigung begleitete. Nachdem sie am Donnerstagabend telefoniert hatten, hatte er sofort Streit angefangen.
»Warum fährst du da mit?«
»Um mir das anzuschauen.«
»Wozu?« Er war sofort misstrauisch geworden.
»Sammi will eine dritte Meinung.«
»Und wo soll das sein?«
»In Thomastown.«
»Wieso das denn?«
»Wegen der direkten S-Bahnverbindung zu ihrer Mutter. Finde ich vollkommen nachvollziehbar.«
»Thomastown ist ein Loch.«
»Aber ein erschwingliches.«
»Komm ja nicht auf dumme Ideen«, hatte er ihr gedroht.
»Keine Angst.«
Er warf ihr einen grimmigen Blick zu. »Ich hab keine Lust, eine beschissene Hypothek am Hals zu haben. Ein Kind reicht schon. Ohne mich.«
»Ich weiß«, sagte sie.
»Gut. Außerdem habe ich Vic versprochen, heute Vormittag bei ihm vorbeizukommen. Er will mir ein paar neue Songs vorspielen. Du musst dir also für Hugo einen Babysitter suchen.«
Dem Himmel sei Dank, dass sie Connie und Richie kennengelernt hatte. Das war das einzig Gute an dem furchtbaren Barbecuegewesen. Connie hatte gleich am nächsten Tag angerufen, um sich zu erkundigen, wie es Hugo ging. Die beiden waren wirklich lieb – sie war ihnen unendlich dankbar. Scheiß auf Vic und seine Songs. Es war dasselbe wie bei Gary und seiner Malerei. Sie waren verdammte Handwerker und sonst nichts – wann sahen sie das endlich ein?
Sie blieb ruhig. »Alles klar, mach ich. Ich rufe Richie an – Connie arbeitet samstags.«
Aber Gary war schon nach draußen gestürmt.
Hugo kam an die Tür und sah sie fragend an. »Habt ihr euch gestritten, Daddy und du?«
»Aber nein.« Sie nahm ihn auf den Arm. »Wir haben nicht gestritten.«
»Habt ihr doch.«
»Nein, bestimmt nicht.«
Er sah sie misstrauisch an, und plötzlich erinnerte er sie an ihren Vater. Sie drückte ihn fest an sich.
»Ich verspreche es dir, wir haben uns nicht gestritten.«
Ich will ein Haus, Gary. Ein verdammtes Haus. Ich habe es verdient.
Sie war sechzehn gewesen, als sie ihr Zuhause verloren hatten. Sie konnte sich noch an jede Einzelheit erinnern: der breite Resopaltresen in der Küche, an dem Eddie und sie ihre Hausaufgaben machten; der immer größer werdende Riss in der Wand über ihrem Bett, den ihr Vater nie zugipste; das wuchernde Unkraut und die dürren vertrockneten Rosenbüsche, die in den vernachlässigten Blumenbeeten ums Überleben kämpften. Es war ein farbloses, zuzementiertes Haus aus den späten Sechzigern gewesen, mit niedrigen Decken und dünnen Wänden, im Sommer der reinste Backofen. Aber es war ihr Haus gewesen, sie war dort aufgewachsen, und es lag nur zehn Minuten vom Strand entfernt. Den größten Teil des Jahres verbrachte sie dort, am Strand. Golden Girl hatten sie sie genannt, weil sie immer braungebrannt war, ihr Haarvon Sonne und Meer fast albinoweiß, und weil sie über die Wellen ritt, als wäre sie im Meer geboren. In Perth ging die goldene Sonne – ihre Sonne – im stillen, warmen Indischen Ozean unter. Dort kamen Meer, Wind und Land zusammen, und alles ergab einen Sinn. Das unglaubliche Blau des Pazifiks dagegen war zwar schön anzusehen, aber ihm fehlte die Urgewalt
ihres
Meeres, sie würde sich hier nie wirklich zu Hause fühlen.
Vor allem die Sommer über, wenn das Schuljahr vorbei war und die Tage sich hinzogen, hatte sie immer draußen verbracht. Ihre Eltern sprachen kaum ein Wort mehr miteinander, und sie hatte sehr unter diesem Schweigen gelitten. Als sie etwas älter war und erste Erfahrungen mit Männern machte, empfand sie eine Art widerwilligen Respekt, wenn einer ihrer Liebhaber sie anschrie oder gewalttätig wurde. Doch statt sich zu wehren, hielt sie lieber den Mund. Obwohl sie wusste, dass es nicht gesund war. Das war etwas, das sie versuchte, Hugo beizubringen: Klartext zu reden, sich nicht unterdrücken zu lassen. Jedes Gefühl hat seine Berechtigung, dieses Mantra flüsterte sie ihm ein,
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