Nur eine Ohrfeige (German Edition)
fühlte sie sich unbehaglich. Schon als junges Mädchen hatte sie so empfunden. Sie fürchtete sich, ihnen in die Augen zu sehen. Woher diese Angst stammte, konnte sie nicht sagen. Ihre Eltern waren eigentlich nur latent rassistisch. Ihre Mutter bemitleidete die Aborigines, und ihr Vater hatte keinen Respekt vor ihnen, aber ansonsten brüsteten sie sich mit ihrer Toleranz. Rosies Angst rührte aus dem Unterbewusstsein, sie lag in Perth quasi in der Luft. Das galt übrigens nichtfür Schwarze aus Afrika oder Nord- und Südamerika. Als sie ein Teenager war und die Fregatten der US-Marine am Hafen von Fremantle angelegt hatten, jagten ihr die afroamerikanischen Soldaten, die überall durch die Straßen von Perth liefen, keine Angst ein. Sie genoss ihre Aufmerksamkeit – die unterschwellige Obszönität, das verführerisch Verbotene ihrer Blicke, ihre bewundernden Pfiffe, ihre fordernde Art: Hallo, hübsche Lady, wollen wir nicht etwas trinken gehen? Auch Aisha, ihre beste Freundin, war dunkelhäutig. Trotzdem riskierte sie keinen weiteren Blick auf Bilal.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Shamira drehte sich nach ihr um und zog fragend die Augenbrauen hoch. Rosie schüttelte beschwichtigend den Kopf, klopfte ihr kurz auf die Schulter und flüsterte unhörbar: »Alles in Ordnung.« Es lag an der Anhörung, die ihnen unmittelbar bevorstand. Sie durfte sich nicht verrückt machen und nicht an der Richtigkeit ihrer Entscheidung zweifeln. Sie war ein guter Mensch, und ihre Unsicherheit gegenüber Bilal kam nicht nur daher, dass er Aborigine war. Sie erinnerte sich an ihre erste Zeit in Melbourne, als sie ihn kennengelernt hatte. Damals hatte er dauernd gelacht und dabei etwas jungendhaft Wildes ausgestrahlt. Gleichzeitig hatte er ständig wie unter Strom gestanden, als könnte er jeden Augenblick gewalttätig werden. Sie mochte ihn damals nicht, hatte sich sogar vor ihm gefürchtet. Heute, mit über vierzig, schien Bilal nicht mehr viel mit jener Zeit zu verbinden. Inzwischen hatte sie Vertrauen zu ihm und fand ihn viel angenehmer als früher, obwohl sie ihn kaum noch lachen hörte. Sie war überzeugt, dass er sie verachtete, dass sie für ihn immer noch das dumme weiße Mädchen aus Perth war, die ihm nicht in die Augen sehen konnte. In all den Jahren hatten sie kaum mehr als ein paar Sätze gewechselt. Aber jetzt, wo sie sich mit seiner Frau anfreundete, wollte sie ihm beweisen, dass sie anders war als früher, dass all das lange hinter ihr lag.
Je weiter sie aus der Stadt hinauskamen, desto hässlicher erschien Rosie die Welt um sie herum, die unerbittliche Monotonie der nördlichen Vororte, der schwere graue Himmel, der über derLandschaft lag und sie förmlich erdrückte. Die Grünflächen waren vergilbt und wirkten trist. Es kam ihr vor, als hätte man der Natur alle Farben entzogen, als dürstete sie nach frischer Luft. Wahrscheinlich lag diese Gegend einfach zu weit vom Meer entfernt. Sie hatte Verständnis dafür, dass ihr Mann sich weigerte, auch nur darüber nachzudenken, hier zu leben, sich in dieser trostlosen Vorstadtleere einzurichten. Aber mehr konnten sie sich nicht leisten. Es sei denn, sie zogen aufs Land, was für Gary genauso wenig in Betracht kam, wenngleich es Hugo guttäte und für Garys Malerei auch nicht schlecht wäre. Trotzdem wollte er davon nichts hören. Bilals Gesicht spiegelte sich im Fenster. Dieser Mann liebte seine Kinder, und er vergötterte seine Frau. Einen kurzen Moment lang wünschte sie, sie stünde an Shamiras Stelle. Ein leichter Schwindel ergriff sie.
Sie beugte sich vor und legte ihrer Freundin die Hand auf die Schulter. »Bist du aufgeregt?«
Shamira zuckte mit den Schultern. »Wir steigern uns da nicht mehr so hinein. Wir sind schon zu oft enttäuscht worden.«
Bilal griff über den Schaltknüppel nach der Hand seiner Frau. »Wir finden schon noch was, Schatz, mach dir keine Sorgen.« Er klang schroff und zugleich verlegen. Rosie lehnte sich zurück. Er wollte nicht, dass sie dabei war, das war ganz offensichtlich. Sie hätte nicht mitkommen sollen – so etwas war eine Sache zwischen Mann und Frau. Aber wann sonst bekam sie so eine Gelegenheit? Sie hatte keine Lust, allein nach einem Haus für ihre Familie zu suchen.
Sie bogen in eine kleine Einbahnstraße, ein paar Blocks von der Hauptstraße entfernt. Gleich um die Ecke gab es eine Schule, die Kinder konnten zu Fuß dorthin gehen. Das Haus selbst war ein Klinkerbau mit niedrigen Decken aus den frühen Siebzigern.
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