Nur eine Ohrfeige (German Edition)
für Anouk hieß, dass auch Hugo nicht dabei war.
»Nächste Woche.«
»Okay.«
Rosie wollte sich gerade verabschieden, aber Anouk hatte schon aufgelegt.
Sie konnte immer noch nicht anrufen. Um es noch ein wenig hinauszuschieben, ging sie erst mal nach Hugo und Gary sehen. Beide schliefen, ihr Sohn lag quer auf dem Schoß ihres schnarchenden Mannes. Eine Speichelspur glänzte auf seinen Lippen. Rosie freute sich immer, die beiden zusammen zu sehen, sie beneidete sie um ihre entspannte Vertrautheit, die ganz anders war als ihre intensive Beziehung zu Hugo. Bei ihr ließ er sich nie einfach so fallen, immer hatte er die Arme um sie geschlungen, um sie zu besitzen,so wie sie auch ihn in Besitz nahm. Sie würde ihn bald abstillen müssen, und zwar innerhalb der nächsten Monate, bevor er in den Kindergarten kam. Die beiden sahen zufrieden aus. Sie ließ sie schlafen, schaltete den Fernseher aus und zog leise eines der Fotoalben aus dem Regal. Dann machte sie das Licht aus und ging zurück in die Küche.
Der ausgefranste lilafarbene Albumrücken führte sie augenblicklich zurück in eine Zeit vor Hugo, vor Gary. Sie konnte sich noch erinnern, wie sie es in einem kleinen staubigen Zeitschriftenladen in Leederville gekauft hatte. Sie hatte als Kellnerin in der Stadt gearbeitet und mit einem ständig schlecht gelaunten Pärchen namens Ted und Danielle zusammengewohnt. Damals nahm sie zu viel Speed und trieb völlig ziellos vor sich hin. Es war der Sommer, in dem Aisha nach Melbourne gezogen war. Rosie blätterte die Seiten um, bis sie das Foto fand, nach dem sie gesucht hatte. Jesus, sie sah so jung aus, ein richtiges Surfer-Flittchen. Na ja, das war sie schließlich auch gewesen.
In ihrem fast schon halluzinogen leuchtenden orangeroten Lieblingsbikini stand sie da und lächelte verzückt in die Kamera, das Kinn leicht vorgeschoben, weil sie das aus irgendeinem Teeniemagazin gelernt hatte. Neben ihr Rachel im blassblauen Bikini-Top, ein weißes Herrenhemd lässig um die Schultern geschlagen. Rachel hatte keinen Grund, das Kinn vorzuschieben. Sie wirkte vollkommen ausgeglichen, und Rosie kam es vor, als machte sie sich mit ihrem angedeuteten Lächeln über das überschwängliche Grinsen ihrer Tochter lustig. Sie hielt eine Zigarette in der Hand. Es war Anouks Zuhause, das Haus, in dem Rachel schließlich gestorben war, direkt am Strand von Fremantle. Auf ihre Weise hatte Anouk vorhin am Telefon versucht, eine gute Freundin zu sein. Rachel und ihre eigene Mutter hatten so gut wie nichts gemeinsam. Rachel konnte grausam sein, ja, aber nur in ihrer Ehrlichkeit, nie als Waffe. Rachel war smart, abenteuerlustig und weltoffen. Sie ging Risiken ein. Und dasselbe hatte sie auch von ihren Töchtern erwartet. In dieser Hinsicht war sie unerbittlich gewesen. Es warRachel gewesen, die sie aufgefordert hatte, aus Perth wegzugehen und Aisha nach Melbourne zu folgen. Und zwar auf ihre ruppige, direkte Art. Hau ab aus diesem Drecksloch, Mädchen. Hier trittst du nur auf der Stelle. Du endest als langweilige, verhätschelte Anwaltsfrau draußen in Peppermint Grove, oder noch schlimmer, als Püppchen irgendeines strohdummen Langweilers in Scarborough. Mach, dass du wegkommst! Sie war offen und ehrlich. Und in dieser Hinsicht war Anouk ganz ihre Tochter.
Es war grausam gewesen. Und unfair. Der Krebs hatte sich auf beide Brüste ausgebreitet, und sie war innerhalb eines Jahres gestorben. Rachel, die das Leben geliebt hatte und unerschrocken gewesen war, so ganz anders als Rosies Mutter.
Sie musste anrufen. Rosie klappte das Album zu und nahm wieder den Hörer in die Hand.
Es klingelte einmal, dann erklang das penetrante Piepen der Fernverbindung und schließlich ihre Mutter.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
»Du rufst spät an, Rosalind.«
Sie wollte sich nicht entschuldigen. »Es hat ewig gedauert, bis ich Hugo im Bett hatte.«
»Das ist viel zu spät für ihn.«
Nein, dazu sage ich jetzt nichts. »Hattest du einen schönen Tag?«
»Sei nicht albern, Rosalind. Ich bin über siebzig. Mein Geburtstag kümmert mich schon lange nicht mehr.«
Rosie war es ein Rätsel, wie ihre Mutter ihr ganzes Leben im Hinterland von Perth verbracht haben und trotzdem so englisch, so korrekt klingen konnte. Auch wenn Rosie seit ihrer Zeit in London wusste, woher dieser Akzent kam, würde ihn auf den Britischen Inseln niemand einordnen können. Er stammte aus den Auslandsprogrammen von ABC und BBC.
»Hat Joan angerufen?« Joan war die
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