Nur eine Ohrfeige (German Edition)
beste Freundin ihrer Mutter. Die einzige Freundin ihrer Mutter, dachte sie gehässig.
»Ja.«
Na los, frag nach deinem Enkelkind.
»Und Eddie?«
»Nein, Edward hat nicht angerufen.«
»Tut er bestimmt noch.«
Das Nasehochziehen am anderen Ende klang fast vulgär. »Dein Bruder hängt wahrscheinlich gerade in irgendeiner Bar und betrinkt sich. Ich bezweifle, dass er überhaupt weiß, welcher Wochentag heute ist, geschweige denn, dass seine Mutter Geburtstag hat.«
Rosie spürte, wie ihre Gereiztheit verflog, sie empfand nur noch Mitleid für ihre Mutter. Sie war erleichtert, ihr Telefonat würde bald beendet sein, und es gab nichts zu bereuen.
»Joan ist die Einzige, die an mich denkt.«
Ich habe doch angerufen, hätte sie antworten sollen. Du machst es einem wirklich schwer. Oder: Wir rufen nicht an, weil wir dich nicht mögen. Stattdessen antwortete sie gar nicht. Gleich hatte sie es geschafft.
»Dein Bruder ist ein Säufer. Die Männer in unserer Familie sind alle Säufer, und wir Frauen heiraten sie.«
Rosie merkte, dass sie rot anlief. Und während die Hitze ihr ins Gesicht stieg, schwand ihr Mitgefühl für die einsame alte Frau. Du böse, alte Hexe. So ein Blödsinn. Gary war kein Alkoholiker. In dem beschissenen bürgerlich-christlichen Weltbild ihrer Mutter war es ja schon eine Sünde, überhaupt Alkohol zu trinken. Warum war sie nicht ehrlich? Sie konnte Gary nur nicht ausstehen, weil er ein einfacher Handwerker war.
»Okay, ich habe nur angerufen, um dir zum Geburtstag zu gratulieren.«
»Danke.«
»Dann kannst du dich jetzt in Ruhe schlafen legen.«
»Du solltest Hugo wirklich früher ins Bett bringen.«
Es gelang ihr nicht, sich aus den Fängen ihrer Mutter zu lösen. Also tat sie das, was am klügsten war. »Sonst geht er viel früher schlafen«, log sie. »Vielleicht ist er krank.«
»Arbeitest du? Mütter schaffen sich immer gern Probleme, wenn sie nicht arbeiten.«
Ja, Mutter, ich arbeite verdammt nochmal. Ich ziehe mein Kind groß. »Ich suche mir nächstes Jahr einen Job, wenn Hugo in den Kindergarten kommt.«
»Erzähl mir bitte nicht, dass du noch stillst.«
Das konnte nur mit einer weiteren Lüge beantwortet werden. »Nein.«
»Gott sei Dank. Ich kann nicht verstehen, warum junge Mütter heutzutage so versessen darauf sind, sich wieder wie Kühe zu fühlen. Für mich wäre das ja überhaupt nichts.«
Ich weiß.
»Wann hast du aufgehört?«
»Vor vier Monaten«, erklärte sie.
»Mein Gott, das ist ja vollkommen lächerlich. Der Junge ist vier, oder?«
»Er ist gerade vier geworden.« Sie konnte nicht widerstehen. »Du hast an seinem Geburtstag nicht angerufen.«
Rosie warf einen Blick zur Tür. Gary stolperte in Richtung Klo.
»Ich habe eine Karte geschickt. Rufst du deswegen an? Um mich zu verletzen?« Ihre Mutter war wütend.
Spiel, Satz und Sieg. Sie tat genau das, was ihre Mutter von ihr erwartete. »Entschuldige bitte.«
»Gute Nacht, Rosalind. Danke für deinen Anruf.« Dann war die Leitung stumm.
Einen Moment lang war Rosie wie gelähmt. Sie saß einfach nur da und lauschte dem elektrischen Rauschen. Dann knallte sie den Hörer auf den Tisch und fühlte sich wieder wie sechzehn, als sie am liebsten mit dem nächstbesten Typen ins Bett gestiegen wäre, sich betrunken hätte, Drogen gespritzt, irgendwas aus einem Geschäft gestohlen, geflucht und geschrien hätte, nur um sie auf die Palme zu bringen, damit ihre Mutter sie genauso hasste wie Rosie sie. Sie griff nach Garys Tabakbeutel. Vielleicht half auch Rauchen.
»Das hast du doch nicht nötig.«
Sie fühlte sich ertappt, ließ aber die Hand liegen. »Doch, ich habe gerade mit meiner Mutter telefoniert.«
Sie sahen sich in die Augen. Sie konnte nicht sagen, was in ihm vorging. Brüll mich einfach nicht an, dachte sie, und erzähl mir nicht, was ich tun soll. Gary kam zu ihr rüber, beugte sich vor, küsste sie auf die Stirn und strich ihr dabei über die Schulter. Diese zärtliche Geste trieb ihr die Tränen in die Augen. Er wischte sie weg, nahm ihr den Tabak aus der Hand und drehte ihr eine Zigarette.
»Jedes Mal zieht sie mich runter. Jedes Mal habe ich das Gefühl, eine schlechte Tochter, eine schlechte Ehefrau und eine schlechte Mutter zu sein.«
»Das ist doch Quatsch. Du bist die beste Mutter, die es gibt. Das weißt du doch.«
Sie war eine gute Mutter. Inzwischen wusste sie das, obwohl es ziemlich lange gedauert hatte. Im Muttersein hatte sie Erfüllung gefunden, es hatte der Wut und der Angst,
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