Nur eine Ohrfeige (German Edition)
noch bevor er sprechen konnte. Jedes Gefühl hat seine Berechtigung.
Im letzten Jahr, bevor ihre Eltern sich scheiden ließen, explodierte das Haus fast vor unausgesprochenen Gefühlen. Sie hielt es dort kaum noch aus. Gott sei Dank gab es den Strand.
Wir verlieren das Haus, hatte Eddie zu ihr gesagt und dabei vollkommen desinteressiert geklungen. Das war typisch Eddie. Deswegen hatte Aisha sich auch von ihm getrennt. Dein Bruder hat keine Leidenschaft für nichts, für gar nichts. Weder für Autos noch für den Strand noch für einen Beruf noch für die Schule noch für Mädchen. Er hat kein Blut in den Adern.
Wir verlieren das Haus, hatte Eddie gesagt und fast dabei gegähnt. Dad hat alles verspielt. Er hat seinen Job verloren – Mum weiß es noch nicht mal. Wir haben gar nichts mehr.
Was machen wir jetzt?, hatte sie ängstlich gefragt, und er hatte mit den Schultern gezuckt, war von der Strandmauer gehüpft und mit seinem Surfbrett ins Wasser gelaufen. Was machen wir jetzt?,hatte sie ihm hinterhergebrüllt. Sie war dort sitzen geblieben, allein auf der Mauer, und hatte ihrem Bruder nachgesehen, der auf seinem Board bis zu der dünnen Linie gepaddelt war, wo Wasser und Himmel sich berührten.
Richie tauchte pünktlich um halb zehn auf. Rosie war wie immer überrascht, zumal sie selbst als Teenager dauernd zu spät gekommen war. Kaum hatte Hugo ihn durch die Fliegengittertür erblickt, kam er jauchzend angerannt. Eines war vollkommen klar: Hugo brauchte einen Bruder. Sie brauchten ein zweites Kind.
»He, kleiner Mann.«
Hugo versuchte vergeblich, an die Türklinke zu kommen.
»Warte, warte«, lachte Rosie und öffnete die Tür. Sie beugte sich vor und küsste Richie auf die Wange. Er lief rot an. Hugo nahm ihn sofort an der Hand und zog ihn durch den Flur in Richtung Garten. Richie drehte sich zu ihr um und formte mit den Lippen ein »Sorry«.
Sie winkte ihnen zu. »Viel Spaß beim Spielen.«
Erleichtert setzte sie sich hinters Steuer, warf einen Blick nach hinten auf den leeren Kindersitz, legte eine alte Portishead-CD ein und fuhr mit heruntergelassenem Fenster los. Sie war allein. Und das Beste daran war zu wissen, dass es nur ein paar Stunden andauern würde, bis sie sich wieder nach Hugo sehnte.
Shamiras Schwester Kirsty passte auf Sonja und Ibby auf. Kirsty hatte dieselben schweren Lider und das blasse irische, ovale Gesicht wie ihre Schwester, aber abgesehen davon war der Gegensatz zwischen den beiden Frauen erstaunlich. Kirstys T-Shirt war tief ausgeschnitten, über ihren großen Brüsten prangte das Logo einer balinesischen Biermarke. Sie trug hautenge schwarze Jeans, Sandalen, und ihr dunkles Haar mit den blonden Spitzen fiel ihr wild ins Gesicht und auf die Schultern. Shamira behauptete, ihre Schwester hätte ihre Konvertierung schon lange akzeptiert, aber ihr prolliger Look sprach eine ganz andere Sprache. War es wirklich Zufall,dass sie ein T-Shirt mit einer Alkoholwerbung trug? Auf jeden Fall waren Ibby und Sonja völlig vernarrt in ihre Tante und wetteiferten um ihre Gunst. Sonja saß auf ihrem Schoß und kritzelte etwas in ein Schreibheft, während Ibby neben ihr stand, sich an sie lehnte und darauf wartete, in den Arm genommen zu werden. Rosie setzte sich ihnen gegenüber und sah Bilal mit einem Paar Stiefeln in der Hand hereinkommen. Er nickte ihr zu, setzte sich ebenfalls und zog die Stiefel an. Dann wandte er sich an seinen Sohn: »Du tust alles, was deine Tante sagt, ist das klar?«
Ibby nickte fest entschlossen und machte ein ernstes Gesicht.
Bilal zwinkerte ihm zu. »Braver Junge.«
Ibby lächelte stolz.
Sie bestand darauf, hinten zu sitzen. Während sie sich anschnallte, beobachtete sie Bilal im Rückspiegel und schaute dann beschämt weg, als er ihren Blick erwiderte. Sie hörte förmlich Garys bissigen Kommentar. Du bist so was von verkrampft, Rosie, nur weil du es mit einem Aborigine zu tun hast! Dauernd hast du Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun oder auch nur zu denken. Du bist so was von kleinbürgerlich, Rosie. Das war natürlich die schlimmste Beleidigung, die ihr Mann ihr an den Kopf werfen konnte, zumal es ebenso wahr wie unfair war. Es kam ihr absurd vor, kein Geld und kein eigenes Haus zu haben und dass sie Hugos Klamotten im Secondhandladen kaufen und beim Wochenendeinkauf die letzten Dollarmünzen zusammenkratzen musste. Doch am meisten störte sie, dass sie tatsächlich eine langweilige Spießerin war. Sobald sie einem Aborigine begegnete,
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