Nur eine Ohrfeige (German Edition)
der an der Tür zum Gerichtssaal hing.
»Ziemlich viel los heute«, sagte sie, als sie wiederkam, und musterte dabei die anderen Anwesenden. »Aber wir stehen nicht allzu weit unten auf der Liste. Wenn wir Glück haben, werden wir noch vor Mittag aufgerufen.«
Gary sah sie an. »Wer ist der Richter?«
»Emmett. Die ist in Ordnung.« Margaret sah ihm immer noch nicht in die Augen.
»Was meinen Sie mit ›in Ordnung‹?«
Rosie legte ihm die Hand aufs Knie. Hör auf, dich mit ihr anzulegen. Sie ist auf unserer Seite.
»Sie ist gut.« Margaret wollte erst noch etwas hinzufügen, hielt dann aber plötzlich inne. Sie drehten sich alle gleichzeitig um.
Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er an jenem furchtbaren Tag mit Hector vorbeigekommen war, um sich zu entschuldigen. Nicht dass er es ernst gemeint hätte. Das war offensichtlich gewesen. Sein höhnisches Grinsen würde sie nie vergessen. Es tat ihm nicht leid. Er war gekommen, um auf sie herabzusehen. Die ganze Zeit über hatte er dieses Grinsen im Gesicht gehabt. Selbst jetzt, als er sich im Warteraum umsah, war ein Anflug davon zu erkennen. Er hatte sie noch nicht bemerkt. Dafür waren alle anderen auf Harry aufmerksam geworden. Rosie rutschte das Herz in die Hose. Er und seine Frau stachen eindeutig aus der Menge hervor. Nicht weil sie so elegant oder weltmännisch gewesen wären. Weder der neue Anzug noch das neue Kleid, die neuen Schuhe, die neue Handtasche oder die neuen Haarschnitte zeugten davon. Alles, was sie hatten, alles, was sie ausstrahlten, war Geld. Schnödes, schmutziges Geld. Aber das reichte aus, um sie über alle anderen im Raum zu stellen. Rosie beobachtete, wie sie von ihrem Anwalt, der unmenschlich groß war, wie ein mutiertes Insekt, das in einen Anzuggezwängt worden war, zu einem Sitzplatz geführt wurden. Das war der Moment, in dem Rosie ihm in die Augen sah. Das spöttische Lächeln dieses selbstverliebten arroganten Arschlochs war immer noch da. Aber nicht deswegen packte sie die nackte Wut so sehr, dass sie nach Luft schnappen musste und ihr ganzer Körper sich verkrampfte. Hinter ihnen ging Manolis, Hectors Vater.
Sie marschierte schnurstracks auf ihn zu. Gary sprang auf, um sie zurückzuhalten, aber sie schüttelte seine Hand ab. Das Monster wollte etwas zu ihr sagen, doch sie nahm weder ihn noch seine Vorzeigefrau zur Kenntnis, sondern wandte sich direkt an Manolis. Es lag kein Zittern in ihrer Stimme, ihre Wut war jedoch unüberhörbar. »Was haben Sie hier zu suchen? Schämen Sie sich nicht? Sie haben hier nichts verloren.« Ihre Spucke landete auf seinem Hemd. Es war ihr scheißegal. Als der Anwalt das Wort an sie richten wollte, hatte sie bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und lief zurück zu ihrem Mann und ihrer Freundin. Sie zitterte am ganzen Körper, aber sie hatte erreicht, was sie wollte. Sie hatte den alten Mann beschämt, das hatte sie in seinen Augen gesehen. Es war ihm unangenehm gewesen. Gut so. Nichts anderes hatte er verdient. Aisha war es, die hier sein sollte, an ihrer Seite, aber sie hatte den Anstand gehabt, ihrer Familie nicht in den Rücken zu fallen. Aisha und sie waren wie Schwestern, und Manolis wusste das. Wie viele Weihnachten, Ostern, Namenstage und Geburtstage hatten sie mit ihm und seiner Frau Koula zusammen verbracht? Wie oft waren sie bei ihnen zu Besuch gewesen? Unzählige Male. Sie war froh, nicht weinen zu müssen. Er war im Unrecht. Das würde sie ihm nie verzeihen.
Als sie endlich den Gerichtssaal betraten, war sie enttäuscht, wie unscheinbar er war. Über dem Richterstuhl hing ein einsames australisches Staatswappen, und in der Ecke breitete sich ein zitronenfarbener Feuchtigkeitsfleck aus. Sie nahmen in einer der vorderen Reihen Platz und warteten darauf, dass ihr Fall zur Anhörung kam.
Wie belanglos das Leben vieler Menschen war, wie banal und traurig ihre Verbrechen, die sie meistens für Geld begingen, manchmal auch aus Liebe oder Langeweile, aber hauptsächlich eben, weil sie unbedingt Geld brauchten. Das war es, was Rosie von diesem Tag mit nach Hause nehmen würde. Junge Männer – eigentlich noch Jungs, allerdings mit ellenlangen Vorstrafenregistern, die von ebenso jungen gelangweilten Polizisten stockend und mit monotoner Stimme vorgetragen wurden – saßen auf der Anklagebank, weil sie Spielzeug gestohlen, Radios gestohlen, iPods gestohlen, Fernseher gestohlen, Handtaschen gestohlen, Werkzeug gestohlen, Lebensmittel gestohlen, Alkohol gestohlen hatten. Junge Mütter,
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