Nur eine Ohrfeige (German Edition)
»Könnt ihr euch vorstellen, wie die Zukunft aussieht, wenn diese Kids mal das Land regieren? Alles auf dem Silbertablett serviert bekommen und nichts dafür tun wollen. Das wird die Hölle.«
Aisha nickte zustimmend.
Wann soll ein Mädchen wie sie jemals die Welt regieren?, dachte Rosie.
»Wir sollten etwas essen, sonst muss ich den Wagen stehen lassen«, sagte Aisha, als der Kellner eine neue Flasche brachte. Allmählich brach die Nacht herein, und sie fing an zu frösteln. »Und können wir vielleicht reingehen? Es ist zu kalt, um Rücksicht auf Raucher zu nehmen.« Sie streckte Anouk die Zunge raus.
»Na ja, dann brauchst du mich nach dem Essen auch nicht anzuschnorren.« Sie senkte die Stimme. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das Essen hier besonders gut ist.« Sie nannte den Namen eines italienischen Restaurants um die Ecke. Aisha hatte es auch schon mal erwähnt. Rosie verkrampfte sich. Angeblich war es teuer. Sehr teuer sogar, völlig unerschwinglich.
Aisha nickte. »Klingt gut.« Rosie spürte, wie sie ihr unter dem Tisch die Hand drückte. »Du bist eingeladen«, fügte sie schnell noch hinzu und sah zu Anouk rüber, die ebenfalls nickte.
»Danke«, sagte Rosie matt.
Das Essen war fabelhaft. Es war genau das richtige Wort dafür – ein Wort, das sie in Garys Gegenwart nicht aussprechen konnte, weil er nur verächtlich geschnaubt hätte. So etwas hatte sie seit Jahren nicht mehr gegessen: ein Ossobuco, das sich ganz leicht vom Knochen löste, ofenfrisches Kräuter-Ciabatta und ein köstliches Tiramisu, das Hugo geliebt hätte.
Danach hatten sie Anouk nach Hause gefahren, und Rosie war froh gewesen, dass Aisha ihr Angebot ablehnte, noch auf einen Kaffee mit hochzukommen. Hugo vermisste sie bestimmt schon, es war ziemlich unwahrscheinlich, dass er ohne sie eingeschlafen war. Als sie auf der Punt Road den Yarra River überquerten, sprach Aisha zum ersten Mal an dem Abend die bevorstehende Verhandlung an.
»Du weißt, dass ich gern dabei gewesen wäre, oder?«
»Das bist du doch auch so.«
»Ich hoffe, sie nehmen Harry ordentlich in die Mangel.«
Rosie, sagte sie sich, du hast die beste Freundin auf der ganzen Welt.
Am Dienstag wachte sie noch vor Tagesanbruch auf. Sie hatte sofort das Gefühl, sich übergeben zu müssen, so schlecht war ihr. Erst dachte sie, es seien Regelbeschwerden, aber dann fiel ihr ein, dass sie ihre Tage schon letzte Woche bekommen hatte. Hugo und Gary schliefen beide fest. Sie glitt vorsichtig aus dem Bett, lief ins Bad und versuchte zu würgen, aber es kam nichts. Sie setzte sichhin und stimmte ein Yoga-Mantra an. Das sind nur die Nerven, wiederholte sie ein paarmal leise, heute Abend ist alles vorbei.
Sie machte sich einen Pfefferminztee, hüllte sich fest in ihren Morgenmantel und ging in den Garten. Es war windstill, aber bitterkalt, ein echter Melbourner Spätwintermorgen, keine Spur von Frühling, der eigentlich vor der Tür stehen sollte. Sie setzte sich auf den alten, rostigen Küchenstuhl und wartete darauf, dass die Sonne aufging. Es fiel ihr schwer still zu sitzen, aber genau das musste sie jetzt tun, stillhalten, ruhig bleiben, gegen die Übelkeit ankämpfen, die im Grunde nur Angst und Feigheit war.
Als sie den Tee ausgetrunken hatte, hörte sie Gary in die Küche stolpern. Sie ging hinein und trank in Ruhe einen Kaffee mit ihm. Als sie ihn um eine Zigarette bat, drehte er ihr kommentarlos eine. Dann weckte sie Hugo, der gleich darauf anfing zu weinen, weil er nicht mitkommen durfte. »Aber Schatz«, sagte sie zu ihm, »Connie kommt extra, um den Tag mit dir zu verbringen.« Dem Himmel sei Dank für dieses Mädchen. Connie hatte sich einen Tag von der Schule beurlauben lassen, was sie sich so kurz vor den Prüfungen eigentlich kaum leisten konnte, aber sie hatte darauf bestanden. Rosie, ich will für Hugo und dich da sein. Ausnahmsweise durfte Gary sich um Hugos Wutanfall kümmern, während sie sich fertig machte. Heute Morgen würde sie ihm nicht die Brust geben. Dazu war keine Zeit. Außerdem wollte sie ihn allmählich abstillen. Es war so weit.
Sie hatte sich schon vor Monaten überlegt, was sie anziehen wollte – ein konservatives hellbraunes Kostüm, das sie früher bei Vorstellungsgesprächen getragen hatte, nachdem sie aus London zurückgekommen war. Bis sie fertig geschminkt war, hatte Gary es irgendwie geschafft, Hugo zu beruhigen. Während sie Hugo einen Toast machte, duschte Gary und zog sich an. Als er sie bat, ihm bei der Krawatte zu
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