Nur eine Ohrfeige (German Edition)
die sich Arbeitslosenhilfe erschlichen hatten, junge Mädchen, die wertlosen Schmuck, Mascara, DVDs, CDs und Barbiepuppen für ihre Kinder hatten mitgehen lassen. Zerknirschte Männer, die wegen Trunkenheit am Steuer angeklagt waren oder weil sie jemanden verprügelt hatten, der sie vor dem Pub komisch angeschaut hatte. Die Polizei verkündete die Anklage, ein Anwalt – wahrscheinlich stammten sie alle von der Rechtshilfe, so jung, unsicher und müde wie sie waren – brachte eine Verteidigung vor, und dann fällte die kurz angebundene Richterin ihr Urteil. Sie verhängte Geld- und Bewährungsstrafen oder schickte einen jungen Kerl, der zum vierten Mal wegen Einbruchs vor Gericht stand, ins Gefängnis. Ihre Arbeit schien sie zu belasten.
Nach einer Weile hörte Rosie nicht mehr zu. Gary stand ab und zu auf, um eine rauchen zu gehen, ohne dass sie ihn beachtete. Sie wusste, was er dachte, weil sie es inzwischen selbst dachte. Was tun wir hier? So durfte sie aber nicht denken. Ihre Klage war keine Bagatelle.
Es war viel zu warm in dem überfüllten, fensterlosen Raum, die Atmosphäre war einengend, klaustrophobisch. Dies war die Welt, in die Gary hineingeboren worden war und der er hatte entkommen wollen. Allmählich wurde ihr bewusst, dass es ein Unterschied war, ob man Geld verlor oder ob man nie welches besessen hatte. Deswegen hatte Gary Angst davor gehabt hierherzukommen,deswegen hatte er sich so sehr dagegen gewehrt und war so wütend geworden. Er wollte nicht, dass sie mit dieser Welt in Berührung kam.
Rosie hielt Shamiras Hand fest. Bald würde es vorbei sein. Ihr war bewusst, dass das Monster und seine Frau am anderen Ende des Saals saßen. Manolis neben ihnen. Sie blickte kein einziges Mal in ihre Richtung. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das müde Gesicht der Richterin. Sie sah nicht so aus, als wäre sie besonders erpicht darauf, diese jungen Leute ins Gefängnis zu schicken, viel lieber wäre sie nett zu ihnen gewesen. Aber genauso offensichtlich war, dass sie das Interesse und die Leidenschaft für ihre Arbeit schon lange verloren hatte. Ihre Worte, die Urteilsverkündungen, die protokollarischen Ausführungen, all das trug sie auf dieselbe lustlose Art vor.
Lieber Gott, betete Rosie still, lass mich gewinnen, bitte lass mich gewinnen.
Als die Anhörung vorüber war, wurde ihr klar, dass sie von vornherein keine Chance gehabt hatten. Der Polizist, der aufstand, um die Anklage vorzulesen, war derselbe, der an dem Abend, als Hugo geohrfeigt wurde, zu ihnen nach Hause gekommen war. Damals war er ihnen offen und vernünftig vorgekommen, er hatte ihnen Mut zugesprochen und schien ihre Empörung zu teilen. Jetzt stand er missmutig und mit rotem Kopf im Zeugenstand und stolperte über seine eigenen Formulierungen. Die Anklage lautete auf vorsätzliche Körperverletzung eines Kindes. Der junge Polizist verlas zögernd die Einzelheiten des Vorfalls im vergangenen Sommer, danach stand Margaret auf, wiederholte die Anklagepunkte und wies in kühlem Ton darauf hin, wie abscheulich es sei, dass ein erwachsener Mann ein gerade mal dreijähriges Kind schlage. In der heutigen Zeit, endete Margaret, könne nichts ein derartiges Verhalten entschuldigen. Und dann stand der riesige Anwalt der Gegenseite auf und holte zum entscheidenden Schlag aus.
Außerhalb des Gerichtssaals hatte er noch wie eine lächerlicheKarikatur gewirkt, aber jetzt, hier drinnen, war er gut, sehr gut sogar. Er tat, was Margaret nicht getan hatte, er erzählte eine Geschichte. Dagegen kam Margaret mit ihrer Ernsthaftigkeit nicht an. Am Ende war jeder von der Wahrhaftigkeit seiner Erzählung überzeugt. Rosie war bei dem Barbecue gewesen, sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie dieses Monster ihr Kind geschlagen hatte, aber jetzt war sie zum ersten Mal gezwungen, die ganze Geschichte aus Harrys Sicht zu sehen. Ja, es stimmte, Hugo hatte den Kricketschläger erhoben. Ja, er hätte das Kind des Angeklagten möglicherweise schlagen können. Ja, alles war sehr schnell gegangen, es war nur ein kurzer Augenblick gewesen. Ja, es war bedauerlich, nur allzu menschlich und sicherlich verständlich. Ja, es stimmte, der erste Impuls eines Elternteils ist es, sein Kind zu schützen. Alles richtig, aber Rosie wäre am liebsten aufgestanden und hätte in den vollen Saal hinausgeschrien: So ist es nicht gewesen. Dieser Mann, der da drüben steht und so unschuldig guckt, dieser Mann hat ein Kind geschlagen, und ich habe seinen Gesichtsausdruck dabei
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