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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christos Tsiolkas
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helfen, merkte sie, dass seine Hände zitterten. Sie umschloss sie und küsste seine Finger, die nach Zigaretten und Seife rochen. Er küsste sie auf den Mund, mit einer fast erotischen Hingabe. »Es wird alles gut gehen«, flüsterte er.
    Shamira, die unterwegs Connie aufgesammelt hatte, kam kurz nach acht. Rosie hätte weinen können, als sie sie sah. Shamira hatte einen dünnen schwarzen Wollpullover und einen dazu passenden langen schwarzen Rock an und trug ihr Haar offen. Auf das Kopftuch hatte sie nicht verzichtet, aber es war ein schlichter kobaltblauer Seidenschal, der locker über Kopf und Schultern lag, sodass die blonde Mähne wellenförmig auf den Pullover fiel. Sie trug das Haar offen! »Ich wollte kein Risiko eingehen«, sagte sie scherzhaft, als Rosie sie umarmte, »nur für den Fall, dass der Richter etwas gegen Moslems hat.« Gary war sprachlos. Er drückte Shamira ebenfalls fest. »Siehst du«, sagte sie lachend und wischte sich eine Träne aus dem Auge, »ich habe es dir gesagt, das ist alles nur Fassade, im Grunde bin ich nur ein weißes Flittchen.«
    Shamira fuhr mit ihnen zum Gericht nach Heidelberg. Es war noch vor neun, als sie den Wagen parkten, aber die Stufen vor dem Gebäude waren schon voll von Menschen, die an nicht enden wollenden Zigaretten zogen. Zwei gelangweilt aussehende Polizisten unterhielten sich in aller Ruhe vor der gläsernen Eingangstür. Rosie hatte das Gefühl, in der wartenden Menge die ganze Welt vertreten zu sehen. Da standen Weiße, Aborigines, Asiaten, Südeuropäer, Slawen, Afrikaner und Araber. Alle wirkten sie nervös und schienen sich in ihren billigen Synthetikklamotten unwohl zu fühlen. Es war offensichtlich, wer die Anwälte waren. Man erkannte sie an den gutsitzenden Anzügen.
    Gary runzelte die Stirn. »Wo zum Teufel ist unsere Anwältin?«
    »Sie kommt bestimmt gleich.«
    »Wann?« Als Gary sich eine Zigarette drehte, löste sich ein junger Mann im etwas zu engen hellblauen Hemd aus der Menge und kam auf sie zu.
    »Kann ich mir mal eine drehen, Alter?«
    Gary reichte ihm den Tabak. Als er fertig war, fragte der junge Mann grinsend:
    »Weswegen bist du hier?«
    »Körperverletzung.«
    »Al-ter«, skandierte er, »ich auch.« Er zwinkerte ihm zu. »Aber wir sind natürlich unschuldig.« Dann verschwand er wieder in der Menge und stellte sich neben eine erschöpft aussehende alte Frau. Rosie lächelte sie an und bekam als Antwort eine traurige, müde und ängstliche Grimasse.
    Traurig, müde und ängstlich. So sahen hier fast alle aus. Sie warf einen Blick auf ihren Mann. Bei ihm war es anders. Er guckte streng, arrogant und angespannt, als bereitete er sich auf einen Wettkampf vor. Genau wie Gary setzten auch ein paar andere Männer eine finstere Miene auf, sobald jemand sie ansah. Einige wenige von ihnen hatten auf Anzüge, Krawatten und billige Kaufhaushemden verzichtet und ihre Jogginghosen, Hip-Hop-Kapuzenpullis und Lederjacken anbehalten. Bestimmt bewunderte Gary sie, weil sie sich weigerten, bei dieser Farce mitzuspielen. Sie konnte seine Gedanken lesen und biss sich auf die Lippen. Aber hier ging es weder um sie noch um ihn. Hier ging es um Hugo.
    Die Tür des Gebäudes wurde geöffnet, und die Menge strömte hinein. Gary rauchte noch eine Zigarette, bevor Margaret endlich außer Atem auftauchte, sich entschuldigte und über den Verkehr schimpfte. Gary warf ihr einen grimmigen Blick zu, der sie mitten im Satz verstummen ließ. Ohne darauf einzugehen, wandte sie sich an Rosie, die sie mit Shamira bekannt machte.
    »Sollen wir reingehen?«
    »Allerdings«, erwiderte Gary missmutig. »Das sollten wir.«
    Das Gerichtsgebäude war erst ein paar Jahre alt, ein graues, stählernes Mahnmal für den Wirtschaftsboom des neuen Jahrhunderts, in dem bereits die triste, verwahrloste Atmosphäre herrschte, die irgendwann offenbar jede staatliche Einrichtung befiel. Rosie fand, es roch nach Putzmitteln und begrabenen Hoffnungen – und das bisschen Farbe in den schlechten Landschaftsbildern und Stillleben an den Wänden schien bereits zu verblassen, als wollte es sich seiner schwarz-weißen Zukunft fügen. Margaret führte sie durch den Flur bis zu einem riesigen Wartezimmer mit einem kleinen Bildschirm, der hoch über ihren Köpfen angebracht undauf stumm gestellt war. Ein Fernsehkoch erklärte seinem Publikum, wie man ein Thai-Curry kocht, was ohne Ton einigermaßen lächerlich aussah. Gary und sie setzten sich, während Margaret einen Blick auf den Terminplan warf,

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