Nur eine Ohrfeige (German Edition)
runzelte missbilligend die Stirn. Manolis konnte Thanassis nicht in die Augen sehen.
»Hört mal«, fing Thanassis an, als er spürte, dass er auf Ablehnung stieß. »Sie darf sie natürlich sehen. Ich bin doch kein Unmensch. Sie sehen sich ständig. Sie pendeln ja quasi zwischen hier und Griechenland. Aber ich konnte nicht zulassen, dass sie bei ihr bleiben. Das wäre völlig undenkbar gewesen. Unter den damaligen Umständen habe ich das einzig Richtige getan. Ich habe sie selbst großgezogen.« Seine Augen funkelten, seine Miene verhärtete sich. »Was glaubt ihr denn, was ich hätte tun sollen? Den Märtyrer spielen, mein Lebensglück opfern und mit ihr zusammenbleiben?« Thanassis grinste höhnisch. »Scheiß drauf. Es gab nur einen Jesus Christus, und er hat für uns alle gebüßt. Ich bin kein Märtyrer, ich liebe das Leben viel zu sehr, und im Gegensatz zu Jesus habe ich nur dieses eine. Es gibt keinen Himmel, und es gibt keine Hölle.So sieht es aus. Die Maden und Würmer haben es schon auf Thimio abgesehen, und uns erwartet bald dasselbe Schicksal. Ich muss mich nicht dafür entschuldigen, was ich getan habe.«
Du hast es getan, dachte Manolis, du hast den Sprung gewagt und die Schmach auf dich genommen. Thanassis und er tauschten ein gequältes Lächeln.
Koula merkte, dass zwischen den beiden etwas lief, das sie ausschloss. Sie klang auf einmal deutlich kühler. »Natürlich, du hast getan, was du tun musstest. Aber eins kannst du nicht leugnen: Wenn es zur Scheidung kommt, sind die Kinder immer die Leidtragenden.« Sie presste die Lippen aufeinander und drückte den Rücken durch, ein Bild des Anstands und der Moral. Manolis fragte sich einmal mehr, wie er sie von ihrer unerschütterlichen Überzeugung abbringen konnte. Hatte sie die langen, giftigen Jahre zwischen Jugend und Alter vergessen, Jahre der Auseinandersetzung, des Trotzes, der Ernüchterung und Verzweiflung?
Thanassis antwortete für ihn. »Shit happens.«
Dieser schöne kleine Satz aus dem Vokabular ihrer Kinder brachte sie alle drei zum Lachen. Koula biss sich auf die Lippen und errötete. Sie hatte es noch nicht verlernt.
Sie legte ihre Hand auf die von Thanassis. »Arthur, du rauchst zu viel.«
Thanassis zwinkerte Manolis zu. »Mein Lieber, auch das gefällt mir an meinem Singleleben.« Er grinste Koula schelmisch an. »Keine Frau erzählt dir, was du zu tun oder zu lassen hast.«
Koula hob frustriert die Hände. »Ach komm, Arthur, du weißt genau, dass ich recht habe. Hör auf damit. Genieß die Zeit, die dir bleibt. Erfreu dich an deinen Enkelkindern.«
»Ich hätte dich heiraten sollen, Koula, du hättest mich glücklich gemacht. Schade, dass dieser Mistkerl mir zuvorgekommen ist.« Er zog die Hand weg und schlug sich mit der Faust gegen die Brust. »Der Tod wird mich holen, das weiß ich, und da drinnen, da fängt er an.« Er stieß ein paar Rauchringe aus. »Was soll man machen? Irgendwann holt er uns alle.«
Thimios’ Haus war voller Gäste. Sie saßen alle friedlich im Wohnzimmer. Ein junges Mädchen machte ihnen auf und führte sie hinein. Es war ein komfortables Backsteinhaus, die Wände waren vor nicht allzu langer Zeit weiß gestrichen worden, überall hingen Fotos von den Enkeln, von Hochzeiten, Taufen, ein paar Erinnerungen an Griechenland: ein Kupferstich vom Parthenon, ein kleines Bild von einer schwarz-weißen Katze auf einer weiß gemauerten Terrasse über der strahlend blauen Ägäis und ein
Komboloi
, eine Kette mit aprikosengroßen rosafarbenen Perlen. Das Haus war eingerichtet wie bei den meisten griechischen Familien, bei denen Manolis zu Besuch gewesen war, aber nichts erinnerte ihn an seinen alten Freund Thimios. Überall standen plüschige, überdimensionale Polstermöbel herum, und die Bilder steckten in schweren vergoldeten Rahmen. Thimios war immer eher für das Schlichte, Karge gewesen. Was erwartest du, sagte er sich, eine schmucklose Junggesellenwohnung? Hier hat ein Großvater gelebt. Das Mädchen brachte sie ins Wohnzimmer.
Paraskevi saß zwischen ihren Schwestern auf einer langen, hochlehnigen Rokokocouch. Als sie Koula und Manolis erblickte, sprang sie auf.
»Komm«, forderte sie Koula auf, »setz dich zu uns.« Eine der Schwestern rückte gehorsam zur Seite. Manolis und Thanassis blieben etwas unbeholfen vor dem Fernseher stehen.
»Athena«, sagte Paraskevi. »Hol unseren Freunden Stühle.«
Manolis wollte ihr helfen, aber das Mädchen winkte ab. »Das schaffe ich schon.«
Papouli
,
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