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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christos Tsiolkas
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aufgestellt und nahmen die Beileidsbekundungen entgegen. Er versuchte, Paraskevis Gesicht zu sehen, doch es war von einem schwarzen Schleier verhüllt. Sie wirkte sehr klein und zierlich. Die Frau mit dem Kind trat vom Sarg weg. Manolis holte tief Luft und schaute hinein.
    Das ausdruckslose Gesicht des Toten war ihm fremd. Thimios war glatzköpfig und fett geworden, ein alter Mann in einem glänzenden braunen Polyesteranzug. Manolis empfand nichts beim Anblick dieses Unbekannten. Er schniefte pflichtbewusst, verdrückte eine Träne und ging dann zum Altar, wo die Familie aufgereiht stand. Er wusste nicht, was er sagen sollte, womöglich würde er sich vorstellen müssen. Ob sie sich fragten, wer er war, warum er hier war? Er wartete, bis Koula neben ihm stand. Im selben Augenblick drehte sich die Witwe zu ihnen um.
    Paraskevi fiel ihnen direkt in die Arme. Durch die feinmaschige Spitze erkannte Manolis ihre Augen. Sie war alt, ihr Rücken schien sie kaum noch zu tragen, ihr Haar war dünner geworden und ihr Gesicht von Falten übersät, aber ihre Augen waren dieselben wie früher. Sie umklammerte Manolis’ Arm, und obwohl sie kein Wort über die Lippen brachte, sagte ihr verzweifelter Griff alles. »Meine Schwester«, flüsterte sie Koula ins Ohr, bevor sie in bitterliches Klagen ausbrach. Andere Angehörige musterten sie und fragten sich, wer diese Leute waren, die ihre Mutter, ihre Großmutter derartig aufwühlten. Als Manolis, der jetzt weinte wie ein Kind, ein ersticktes »Mein Beileid« hervorbrachte, ließ Paraskevi ihn los.
    »Bitte kommt später noch mit zu uns.«
    Er nickte und ging weiter. Die jungen Leute schüttelten ihm die Hand. Obwohl sie ihn nicht kannten, spürten sie doch, dass seine Anwesenheit wichtig war. All seine Zweifel waren verflogen. Er war froh, dass sie gekommen waren.
    Die Sonne schien noch, als er die Hintertreppe zum Parkplatz hinunterstieg. Ein alter Mann im Jackett, aber ohne Krawatte,rauchte eine Zigarette. Sein Gesicht war zerknittert, an seinem Hals prangten dunkelrote Narben. Sein graues Haar war kurzgeschoren und ohne Anzeichen einer Glatze. Als er Manolis bemerkte, lächelte er traurig. Mit fragendem Blick kam er auf ihn zu und fing plötzlich an zu grinsen.
    »Manoli?«
    »Ja.«
    »Du verdammter Scheißkerl.« Das Grinsen machte sich jetzt übers ganze Gesicht breit. »Erkennst du mich nicht?«
    Manolis versuchte vergeblich, sich zu erinnern, wer der Mann war. Namen und Gesichter schossen ihm durch den Kopf. Aber nichts Konkretes, nichts, an das er sich hätte halten können. Inzwischen stand Koula neben ihm und wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Und das muss Koula sein.«
    Seine Frau nickte dem Unbekannten reserviert zu, doch dann ließ sie plötzlich das Taschentuch fallen und rief: »Arthur!«
    Der alte Mann umarmte sie und zwinkerte Manolis über ihre Schulter zu. »Meine wunderschöne Koula. Warum hast du nur diesen Versager geheiratet und nicht mich?«
    Manolis ging langsam in die Hocke und hob das Taschentuch auf. Als er das feuchte Stück Stoff in der Hand hielt, fiel ihm ein, woher er den Mann kannte. Er sah ihn plötzlich deutlich vor sich, die verschwitzten, durchtanzten Nächte in den Clubs in der Swan Street. Arthur, der gute alte Thanassis – sein Hemd war am Ende jedes Mal klitschnass gewesen. Manolis überlegte, ob er mit Thimios verwandt war. Vielleicht waren sie Cousins zweiten Grades. Aber das spielte eigentlich keine Rolle. Was zählte, war ihre Freundschaft.
    Manolis schüttelte ihm die Hand und wollte sie gar nicht wieder loslassen. Schließlich zog Thanassis sie weg. »Du reißt mir noch die Hand ab, mein Freund.«
    Koula lächelte, dann schweifte ihr Blick über den Parkplatz. »Wo ist Eleni?«
    »Wer weiß?« Thanassis lachte, als Koula ihn verwundert ansah.»Wir haben uns vor Jahren scheiden lassen. Ich glaube, sie ist wieder in Griechenland.«
    Manolis wusste nicht recht, was er sagen sollte. Koula räusperte sich. Die Trauergemeinde hatte die Kirche verlassen, und die Sargträger bereiteten sich vor. Thanassis trat seine Zigarette aus.
    »Geht ihr mit ans Grab?«
    Manolis zuckte mit den Schultern und sah seine Frau an. Sie hatten sich noch keine Gedanken darüber gemacht. Aber mit zu Paraskevi kommen mussten sie. Das hatten sie ihr versprochen.
    Koula antwortete für ihn. »Nein. Sollen sie Thimio in Ruhe beerdigen. Aber wir gehen nachher noch mit zu ihr.«
    Thanassis nickte traurig. »Gut. So mache ich es auch.« Er legte den beiden die

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