Nur eine Ohrfeige (German Edition)
sagen darf.«
»Psst«, flüsterte er. »Lassen Sie das nicht unsere amerikanischen Freunde wissen.«
Nach diesem ersten Essen saßen sie bei der Tagung wie selbstverständlich täglich nebeneinander. Jeden Morgen wartete sie im Frühstücksraum des Hilton auf ihn. Natürlich waren sie nie allein. Yvonne war eine kurz angebundene, pragmatische Französin in den späten Vierzigern, zu der Aisha schnell eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut hatte. An ihrem Tisch saßen außerdem zwei Deutsche, Oskar und Sophie, beide jünger als Aisha, ausgebildete Tierärzte, die mittlerweile für einen der großen Pharmakonzerne arbeiteten. Art war allen gegenüber höflich und charmant, aber Aisha spürte, dass sein Blick immer wieder in ihre Richtung wanderte. Sie selbst vermied es, ihn anzusehen. Ihr Flirt fühlte sich zwar angenehm an, aber auch gefährlich intensiv. Sein vielsagendes Lächeln, sein tänzelnder Blick, seine höfliche Aufmerksamkeit ihr gegenüber machten sie ganz benommen. Sie kam sich vor wie ein kleines Mädchen. Ein erstaunliches Gefühl, mit dem sie nicht mehr gerechnet hatte. Sie musste die ganze Zeit an ihn denken.
Bei ihrem ersten gemeinsamen Frühstück hatte sie seine Hände wahrgenommen, die langen Finger und die breiten, weichen Handflächen. Sein Ehering war schlicht geschwungen und aus purem Gold. Er sah fast so aus wie ihrer.
Aisha kaufte die neuesten Ausgaben von
Vanity Fair
und
Marie Claire
und einen Krimi von einem englischen Autor, den sie früher gern gelesen hatte. Dann ging sie zurück zum Gate. Immer noch waren sämtliche Sitzplätze von erwartungsvollen Touristen besetzt, aber vor lauter Erschöpfung war ihr Frust verflogen. Die Thailänderin hinter dem Schalter strahlte sie an. »Ihr Flug geht in einer Stunde und dreißig Minuten, vielen Dank.« Aisha starrte die junge Frau ungläubig an. Warum lächelte das dumme Ding? Sie war kurz davor, sie anzuschnauzen, beherrschte sich dann aber doch. Sie würde die arme Frau nur ängstigen und – bei dem Gedanken musste sie lächeln – wahrscheinlich ihre Vorurteile gegenüberIndern bestätigen. Ohne etwas zu erwidern, drehte sie sich um und ging weg.
Ihr war ein Internetcafé aufgefallen, auf das sie jetzt zusteuerte. Sie bestellte einen Weißwein, zu einem völlig überhöhten Preis, was ihr in dem Moment aber egal war, ging zu einem der Computer und loggte sich auf ihrem E-Mail-Account ein. Hector hatte ihr eine kurze Nachricht geschrieben, in der er seinen Flug nach Bali bestätigte. Adam und Melissa hatten ihr ebenfalls geschrieben und Neuigkeiten aus der Schule berichtet. Sie vermisste sie. Sie hatte sich auf die Reise gefreut, darauf, den Zwängen von Arbeit und Eheleben und auch der Beanspruchung durch die Kinder zu entkommen. Die Tagung war der perfekte Anlass dafür gewesen. Eine Woche lang hatte sie die Mutterrolle an den Nagel hängen können, und es war tatsächlich eine Freude gewesen, sie hatte sich wieder jung gefühlt. Sie dachte an Art. Und daran, dass sie sich wieder begehrenswert gefühlt hatte. Aber jetzt, wo sie die einfachen, abgehackten Sätze ihrer Kinder las, verspürte Aisha das unbändige Verlangen, wieder zu Hause zu sein, zurück in ihrer Welt. Sie wünschte, sie hätte sich nicht darauf eingelassen, noch eine Woche Bali dranzuhängen. Alles, was sie wollte, war, zusammen mit den Kindern und Hector am Abendbrottisch zu sitzen. Sie wollte kochen, zu Hause sein, in ihrem eigenen Bett schlafen. Doch sie hatte zugestimmt – sie wusste, dass es eine gute Idee war, eine Woche allein mit Hector zu verbringen. Seit Jahren waren sie nicht allein im Urlaub gewesen, schon seit Melissas Geburt nicht mehr.
Sie las noch einmal Hectors E-Mail. Er hatte sich mit einem Kuss verabschiedet. Liebte er sie noch? Liebte sie ihn? Der Urlaub war tatsächlich eine gute Idee, er war notwendig, andererseits hatte sie auch Angst davor, ihm plötzlich so nahe zu sein. Es war so lange her, dass sie richtig Zeit miteinander verbracht hatten, und jetzt verspürte sie eine kindische Unsicherheit bei dem Gedanken, mit ihm allein zu sein. Hoffentlich erwartete er keine tiefgründigen Gespräche über ihr Leben und ihre Beziehung. Wahrscheinlichwüsste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie waren schon so lange zusammen, dass es das einzige Leben war, das sie kannte.
Die Tagung selbst hatte ihren Erwartungen entsprochen, was bedeutete, dass sie nicht allzu interessant gewesen war. Insgesamt hatte sie nur bei zwei Sitzungen das Gefühl
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