Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Wagen läuft heiß. Der Kühler scheint aber nicht zu lecken, deswegen checke ich gerade das Gebläse.«
»Wem gehört er?«
Alex zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Hat Con angenommen.« Plötzlich fiel ihm auf, dass sein Boss an einem Montagmorgen normalerweise nicht so früh im Laden war. Harry und Sandi hatten gerade eine dritte Werkstatt in Moorabbin aufgemacht,und in den letzten Monaten war Harry hauptsächlich damit beschäftigt gewesen.
Harry grinste in sich hinein, als könnte er sehen, wie die Gedanken in Alex’ Kopf langsam Gestalt annahmen.
Alex wischte sich die Hände ab, legte das Handtuch weg und bot Harry eine Zigarette an. »Was machst du eigentlich so früh hier?«
Harry nahm die Zigarette, und Alex zündete sie ihm an. »Ich wollte einen Blick in die Unterlagen werfen.«
Alex hob die Augenbrauen. »Gibt es ein Problem?«
Harry sah auf die Straße. Der Verkehr kroch jetzt in Richtung Innenstadt. Die Vorstadt breitete sich plan und eintönig vor ihm aus, in gedecktem Grau, funktional und trist. Ein paar Straßen weiter südlich lag der Strand, aber auch der wirkte eher trostlos und unansehnlich, verglichen mit dem smaragdgrünen Meer direkt vor seiner Haustür. Mein Gott, dachte er, diese Gegend ist unerträglich.
»Ja«, antwortete er schließlich. »Ich glaube, es gibt ein Problem.« Alex hob sein Handtuch auf, drückte die Zigarette aus und wandte sich wieder dem Motor zu. Harry wusste, dass damit das Gespräch beendet war. Was für eine Meinung Alex auch immer hatte – falls er denn eine hatte –, er würde sie für sich behalten.
Harry rauchte schweigend seine Zigarette zu Ende und ging dann rüber in das kleine provisorische Büro, das er selbst angebaut hatte, als sie die Werkstatt übernommen hatten. Er suchte im Aktenschrank nach den Geschäftsbüchern, schaltete das Radio an und machte sich an die Arbeit.
Manchmal, wenn die Anforderungen des Alltags überhandnahmen, er sich Sorgen machte und gestresst war, wünschte Harry sich das einfache Leben eines Handwerkers zurück. Anders als Alex war er nie besessen von Autos gewesen, hatte aber immer mit leidenschaftlicher Neugier versucht zu verstehen, warum etwas nicht funktionierte. Seine Mutter – Gott hab sie selig – hatte ständig Angst, dass ihr geliebter einziger Sohn an einem Stromschlagstarb, wenn er an kaputten Toastern, leeren Batterien und fehlerhaftem Elektrospielzeug herumbastelte. Tu doch was, schrie sie ihren Mann an, sag ihm, er soll damit aufhören, er bringt sich noch um. Halt den Mund, brüllte sein Vater dann zurück, lass den Jungen in Ruhe. Du willst wohl einen
Pousti
aus ihm machen. Lass ihn in Frieden. Zu guter Letzt half ihm sein Vater – Friede auch seiner armen Seele – dabei, die komplizierte Welt der Schaltkreise und Stromkabel zu erforschen, und ließ ihn hin und wieder sogar an den Familienwagen ran. Wenn Vater und Sohn sich gemeinsam über den Motor beugten, verband sie etwas, an das seine Mutter nicht herankam. Nur in der Küche und in den Schlafzimmern fühlte Harry sich unsicher. Seine Eltern wechselten manchmal wochenlang nur die nötigsten Worte. Harry lernte diese Phasen des Schweigens schon früh zu schätzen. Was er nicht ertrug, waren die Momente, wenn dieses Schweigen vom Hass zerrissen wurde, den die beiden füreinander empfanden. Meistens war es seine Mutter, die damit anfing. Du bist ein Tier, rief sie plötzlich beim Essen. Du bist ein Vergewaltiger, ein degenerierter Mistkerl. Sein Vater aß schweigend weiter. Du weißt nicht, wie dein Vater wirklich ist, erklärte sie ihrem Sohn. Du weißt nichts von seinen Huren, seinen Sünden gegen Gott und die Natur. Und Harry wartete nur darauf, dass sein Vater aufstand und ihr eine runterhaute. Er hoffte dann, dass ein Schlag oder eine Ohrfeige genügen würde. Manchmal sah er seinen Vater den Gürtel abschnallen und rief ihm zu, er solle aufhören. Er versuchte sogar dazwischenzugehen. Aber Tassios Apostolous war ein starker Mann und schob seinen Sohn beiseite. Eines Tages wirst du mich verstehen, sagte er oft zu ihm, Frauen sind die Gestalt, die der Teufel auf Erden annimmt. Harry ging in sein Zimmer und widmete sich der Reparatur eines Spielzeugs, eines Radios oder des alten Schwarz-Weiß-Fernsehers, den sein Vater ihm zum Ausschlachten überlassen hatte. Wenn er wieder rauskam, saß sein Vater vor dem Fernseher, und seine Mutter bügelte oder nähte in der Küche. Vielleicht war ein Riss in ihrer Bluse, etwas Blut in ihrem
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