Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christos Tsiolkas
Vom Netzwerk:
roch das Meer und füllte seine Lungen mit der reinigenden Luft. Als er in ihre Einfahrt fuhr, sah er, dass das Licht im Schlafzimmer brannte. Sandi wartete auf ihn. Wahrscheinlich hatte sie für ihn gekocht. Er würde etwas essen, zu seinem Sohn ins Zimmer schleichen und ihm einen Gutenachtkuss geben. Dann würde er sich zu Sandi ins Bett legen und mit ihr in den Armen einschlafen. Danke, Gott. Er parkte den Wagen in der Garage und drückte auf die Fernbedienung. Das Garagentor rollte herunter. Danke,
Panagia
. Er war zu Hause.

CONNIE
     
    Während eines unangekündigten Biologietests über Genetik stellte Connie fest, dass ihr Vater heute fünfzig geworden wäre, würde er noch leben. Sie hatte gerade eine Frage zur Vererbung beantwortet und sah zufällig das Datum am unteren rechten Rand stehen. Beim Anblick der Zahlen musste sie sofort daran denken, versuchte aber, den Gedanken zu verdrängen und sich auf die Fragen auf dem Blatt vor ihr zu konzentrieren. Vergeblich. Sie kritzelte mit Kugelschreiber ein Gesicht auf den Seitenrand, ihr Gesicht, in feinen blauen Linien. Ihre Tante Tasha hatte immer gesagt, sie sehe aus wie ihr Vater, und tatsächlich hatte sie auf einem Foto von ihm den ausgeprägten kantigen Kiefer und die etwas zu großen Ohren wiedererkannt, die sie gar nicht an sich mochte. Von ihrer Mutter hatte sie das dichte blonde Haar und den großen Mund geerbt. Auch den mochte sie nicht. Ihr Mund war zu groß, die Lippen zu voll, und ihre Zähne standen vor – weswegen sie auf Fotos selten lächelte. Sie drehte das Blatt um und widmete sich den Diagrammen, Tabellen und Daten, die die Häufigkeit von Atmungserkrankungen bei vier Generationen von Zwillingen beschrieben. Immer wieder wanderte ihr Blick auf das Geburtsdatum ihres Vaters, bis sie endlich fertig war und sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte.
    Hinter ihr saß Jenna, die ebenfalls fertig war. »Wie ist es gelaufen?«
    »Ganz gut«, flüsterte Connie und sah verstohlen zu Mr. De Santis rüber. Er hielt die Hände hinterm Rücken verschränkt und schaute aus dem Fenster. Wohin guckte er wohl? Auf den leeren Basketballplatz? Sie sah auf die Uhr neben der Tafel. Zehn Minuten noch. Wahrscheinlich langweilte er sich genauso wie sie. Zehn Minuten – sechshundert Sekunden –, bis es klingelte. Neben ihr kritzelte Nick Cercic verzweifelt seine Antworten aufs Papier. DieZunge hing ihm aus dem Mundwinkel, er wirkte fiebrig und nervös. Er war einer der besten Schüler ihres Jahrgangs, aber anders als ihr fielen die guten Noten Nick C. nicht gerade in den Schoß. Er musste sich alles hart erarbeiten. Jetzt kratzte er sich den zerzausten roten Wuschelkopf, sodass die Schuppen aufs Papier und rundherum auf den Tisch rieselten. Offenbar hatte er in der Mittagspause Fußball gespielt, jedenfalls stank er nach beißendem Jungsschweiß. Sie widerstand dem Drang, sich vorzulehnen und ihm die Lösung zuzuflüstern. De Santis hatte sich umgedreht und der Klasse zugewandt, die Hände immer noch hinter dem Rücken verschränkt. Vierhunderteinunddreißig, vierhundertdreißig.
    Sie wollte auf keinen Fall an Hector denken. Wäre sie bloß nicht so schnell fertig gewesen. Hundertsechsundzwanzig, hundertfünfundzwanzig. Sie zählte immer weiter, und als es endlich klingelte, schreckte sie regelrecht auf. De Santis ging durch die Reihen und sammelte die Tests ein. Stühle fuhren scharrend zurück, alle rannten zur Tür. Jenna hatte Kopfhörer auf und scrollte durch ihren iPod. Die meisten überprüften ihre Handys oder brüllten bereits hinein, während sie in den Gang drängten. Connie saß immer noch an ihrem Tisch und packte langsam ihre Tasche. Nick hatte sich nicht gerührt. Er lächelte traurig rüber.
    »Das war echt hart«, log sie.
    Er schaukelte auf seinem Stuhl vor und zurück, die Hände hinterm Kopf verschränkt. Unter den Achseln seines weißen Schulhemdes waren dunkle Schweißflecken zu sehen. Es war kein schöner Anblick.
    »Bis dann.« Sie schwang die Tasche über die Schulter und marschierte hinaus.
     
    Die Straßenbahn war voller Schüler – aus ihrer Schule, der Mädchenschule am Ende der Straße und der katholischen Knabenschule. Richie und sie drängelten sich durch die Menge und setzten sich auf die schmutzigen Stufen am Notausgang. Richie stützte die Ellbogen auf seine Sporttasche und summte ein Lied.
    »Hey, Schwuchtel, halt die Klappe.«
    Richie war sofort ruhig und sank über seiner Tasche zusammen. Connie drehte sich um und zeigte Ali den

Weitere Kostenlose Bücher