Nur einen Kuss, Kate!
sich sofort lockerte.
“Verdammt noch mal”, stieß er abermals hervor. Die junge Frau war so klein und zart. Und nun war sie in Ohnmacht gefallen, und es war seine Schuld. Reue erfasste ihn. Er kam sich wie ein Ungeheuer vor. Er hatte gewusst, dass sie halb verhungert war, und hätte sie nicht so erschrecken dürfen, auch wenn sie eine Kanne mit heißem Kaffee nach ihm geworfen hatte. Jetzt musste er sie auf ihr Zimmer tragen. Sein Griff verschob sich, er bückte sich, um sie hochzuheben.
Sofort war Kate hellwach und wie der Blitz auf den Beinen. “Verstand geht vor Kraft!”, rief sie ihm zu und versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht. Und schon lief sie den Gang entlang.
In ihrem Zimmer angekommen, drehte sie sich um. “Und Mädchen spielen doch Kricket!” Damit knallte sie die Tür hinter sich zu, drehte den Schlüssel um und lehnte sich dagegen, außer Atem, lachend, merkwürdig aufgekratzt.
Er starrte ihr verblüfft nach und verwünschte sie auf Englisch und Spanisch. Dann drehte er sich um und hinkte, so schnell er konnte, zum Zimmer seiner Großmutter. Seine Miene hätte nicht unheilverkündender sein können.
“Großmama!” Er platzte in ihr Zimmer. “Wer zum Teufel ist diese kleine Wildkatze?”
Sie musterte ihren Enkel aus unschuldsvollen blauen Augen. Er war wutentbrannt. Großartig! dachte Lady Cahill. Keine Spur mehr von der matten Teilnahmslosigkeit, von der Amelia gesprochen hatte. Etwas oder – nach den Geräuschen zu schließen – jemand hatte ihn zum Leben erweckt. Und seine liebevolle Großmutter gedachte die Entwicklung voranzutreiben.
Sie sah ihn missbilligend an. “Was denkst du dir eigentlich dabei, mein Lieber, um diese Tageszeit lästerlich fluchend in mein Boudoir hereinzuplatzen?” Ihre blauen Augen verrieten eisigen Unmut. “Zu meiner Zeit hätte ein Gentleman nicht im Traum gewagt, in dieser unziemlichen Kleidung oder besser gesagt, ohne jede Aufmachung, einer Dame unter die Augen zu kommen! Verschwinde, mein Junge, und lass dich erst wieder in korrekter Kleidung blicken. Ich bin schockiert und entsetzt!” Mit beleidigter Miene wandte sie den Blick von seiner Blöße ab.
Jack machte den Mund auf, um ihn sofort wieder zu schließen. Verflixt, seine Meinung konnte er ihr unmöglich sagen. Immerhin war sie seine Großmutter. Er sah sie finster an, wohl wissend, was für ein Spiel sie trieb. Seine letzte Guinee hätte er verwettet, dass der Anblick eines Mannes ohne Hemd sie ebenso wenig schockierte wie ihn. Und seine Flucherei … diese scheinheilige Person, die fast jeden ihrer Sätze mit Kraftausdrücken würzte, tat nun so, als müsste sie erröten! Verdammt wollte er sein, wenn er jetzt blieb und sich von seiner Großmutter die Leviten lesen ließ. Jack verbeugte sich ironisch und ging hinaus.
Als er die Tür hinter sich zuwarf, ließ Lady Cahill sich mit höchst undamenhaftem Grinsen entspannt in ihre Kissen zurücksinken.
“Einfach skandalös, Mylady”, ertönte es aus dem Hintergrund.
“Ach, nur nicht so zimperlich, Smithers. Sie haben doch sicher schon einen Mann ohne Hemd gesehen?” Lady Cahill warf ihrer Zofe, die eine undurchdringliche Miene zur Schau trug, einen flüchtigen Blick zu. “Nun, vielleicht auch nicht. In diesem Fall ist Ihr Horizont eben jetzt erweitert worden.”
“Mylady!”, gab Smithers indigniert zurück.
“Geben Sie mir meinen Umhang”, wies die alte Dame sie an. “Ich möchte aufstehen.”
“Vor elf!”
Lady Cahill sah amüsiert die schockierte Miene ihrer Zofe. “Vielleicht doch nicht”, entschied sie. “Holen Sie die Kleine, die ich mitbrachte. Sie soll mit mir heiße Schokolade trinken, falls es dergleichen an diesem gottverlassenen Ort gibt.”
Ihre Zofe erstarrte vor Ablehnung. “Diese schäbige junge Person?”
Die Stimme der alten Dame wurde zu Eis. “Diese 'schäbige junge Person' ist die Tochter meiner geliebten Patentochter Maria Farleigh und wird als mein Gast behandelt. Verstanden?”
Die Frau knickste. “Ja, Mylady”, murmelte sie ergeben.
Kate erstarrte, als an ihre Tür geklopft wurde, und blieb zusammengekauert und mit dem Rücken zur Tür auf dem Bett liegen. Wieder klopfte es. “Gehen Sie!”, rief sie.
Kurzes Schweigen trat ein.
“Miss?” Eine unverkennbar weibliche Stimme. Kate glitt vom Bett und lief zur Tür. Als sie öffnete, sah sie das missbilligende Gesicht der Zofe vor sich. “Lady Cahill lädt Sie auf eine Tasse heiße Schokolade in ihr Boudoir ein.” Als der Blick der kalten
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