Nur einen Tag noch
schönste Paar auf der Tanzfläche waren. Mein Vater war groß und muskulös, und unter seinem weißen gerippten Hemd zeichnete sich kein Bauchansatz ab wie bei anderen Vätern. Und meine Mutter? Nun, sie sah glücklich aus mit ihrem leuchtend roten Lippenstift. Und wenn sie glücklich aussah, verblassten alle anderen Frauen neben ihr. Sie tanzte so graziös, dass man ihr einfach zusehen musste, und ihr Kleid schien förmlich zu strahlen. Ich hörte, wie ein paar ältere Frauen an unserem Tisch raunten: »Das ist ja ein bisschen dick aufgetragen« und: »Sie könnte schon bescheidener auftreten«, aber ich merkte sofort, dass die nur neidisch waren, weil sie nicht so hübsch aussahen wie meine Mutter.
Das war mein Bild von meinen Eltern. Sie stritten sich, aber sie tanzten auch. Nachdem mein Vater verschwunden war, musste ich ständig an diese Hochzeit denken. Ich redete mir ein, dass mein Vater zurückkommen würde, um meine Mutter in diesem roten Kleid zu sehen. Darauf würde er doch nicht verzichten können. Aber nach einer Weile gab ich die Hoffnung auf, und dieses Bild verblasste vor meinem inneren Auge wie ein altes Urlaubsfoto, das nur noch an einen Ort erinnert, an dem man vor langer Zeit einmal gewesen ist.
»Was möchtest du dieses Jahr machen?«, fragte mich meine Mutter am ersten September, nach der Scheidung. Die Schule fing in Kürze wieder an, und sie sprach über »Neuanfang« und »neue Projekte«. Meine Schwester hatte sich für ein Puppentheater entschieden.
Ich schaute meine Mutter an, zum ersten Mal mit jener mürrischen Miene, die sie in den kommenden Jahren noch oft zu sehen bekommen würde.
»Ich will Baseball spielen«, sagte ich.
Eine gemeinsame Mahlzeit
I ch weiß nicht, wie lange ich mich in der Küche aufhielt – mir war immer noch so schwindlig, als hätte ich mir heftig den Kopf gestoßen -, aber an irgendeinem Punkt, vielleicht in dem Moment, in dem meine Mutter »iss« sagte, akzeptierte ich meine Lage einfach. Und tat, was sie mir sagte.
Ich aß eine Gabel Rührei.
Meine Zunge erwachte schlagartig zum Leben. Ich hatte zwei Tage nichts gegessen und fing jetzt an zu futtern wie ein Scheunendrescher. Das Essen lenkte mich ab. Und, offen gestanden, die Rühreier schmeckten großartig und so vertraut. Ich weiß nicht, was es mit dem Essen auf sich hat, das Mütter kochen – vor allem, wenn es sich um so simple Gerichte wie Eierkuchen, Hackfleischbraten oder Tunfischsalat handelt -, aber es ruft Erinnerungen auf den Plan. Meine Mutter bereitete die Rühreier immer mit Frühlingszwiebeln zu – »die kleinen grünen Dinger« sagte ich als Kind dazu -, und nun schmeckte ich sie wieder.
Ich nahm also mit einer Mutter, die der Vergangenheit angehörte, an einem Tisch aus der Vergangenheit ein Frühstück aus der Vergangenheit zu mir.
»Iss langsamer, sonst wird dir übel«, sagte sie.
Auch dieser Satz stammte aus der Vergangenheit.
Als ich fertig war, trug meine Mutter die Teller zur Spüle und drehte das Wasser auf.
»Danke«, murmelte ich.
Sie schaute auf. »Hast du gerade ›danke‹ gesagt, Charley?«
Ich nickte kaum merklich.
»Wofür?«
Ich räusperte mich. »Fürs Frühstück?«
Sie lächelte, während sie weiter das Geschirr abwusch. Ich sah ihr zu, und die Szene war mir plötzlich sehr vertraut: ich am Tisch, meine Mutter beim Abwasch. Wir hatten hier so viele Gespräche geführt, immer mit erhobener Stimme wegen des Wasserrauschens: über die Schule, meine Freunde, Klatsch von den Nachbarn, den ich nicht glauben sollte.
»Du kannst gar nicht hier sein...«, setzte ich an und verstummte dann. Ich wollte so viel sagen und brachte nicht mehr hervor als diesen einen Satz.
Meine Mutter drehte den Wasserhahn zu und trocknete sich die Hände ab.
»Es ist schon spät«, sagte sie. »Wir müssen los.«
Sie beugte sich zu mir und nahm mein Gesicht in beide Hände. Ihre Hände waren warm und feucht vom Spülwasser.
»Gern geschehen«, sagte sie. »Das Frühstück, meine ich.«
Dann nahm sie ihre Handtasche vom Stuhl.
»Und nun sei ein lieber Junge und zieh deinen Mantel an.«
20. Juli 1959
Lieber Charley,
ich weiß, dass Du Angst hast, aber man muss sich nicht davor fürchten. Uns allen sind die Mandeln rausgenommen worden, und schau uns doch an. Uns geht es gut!
Heb Dir diesen Brief gut auf. Leg ihn unters Kopfkissen, bevor die Ärzte kommen. Sie werden Dir etwas geben, damit Du schläfrig wirst, und bevor Du einschläfst, kannst Du daran denken,
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