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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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gesorgt, dass sie sich attraktiv fühlten. Heute hatte sie drei solcher »Termine«, sagte sie. Immer noch benommen, folgte ich ihr durch die Garage nach draußen.
    »Wollen wir am See entlanggehen, Charley?«, sagte sie. »Da ist es so schön um diese Tageszeit.«
    Ich nickte stumm. Wie viel Zeit war vergangen, seit ich im nassen Gras gelegen und auf das zertrümmerte Auto gestarrt hatte? Wie lange würde es dauern, bis jemand mich aufspürte? Ich schmeckte nach wie vor Blut und wurde immer wieder unvermittelt von Schmerzwellen erfasst; im einen Moment war alles in Ordnung, im nächsten tat mir alles weh. Doch nun spazierte ich an der Seite meiner Mutter durch unsere alte Wohngegend, in der Hand ihre lila Plastiktasche mit den Kosmetika.
    »Mama«, murmelte ich schließlich. »Wie...?«
    »Wie was, Schätzchen?«
    Ich räusperte mich.
    »Wie kannst du hier sein?«
    »Nun, ich wohne hier«, gab sie zur Antwort.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Schon lange nicht mehr«, flüsterte ich.
    Sie blickte zum Himmel auf.
    »Weißt du, am Tag deiner Geburt war genau so ein Wetter. Kühl, aber schön. Am Spätnachmittag setzten die Wehen ein, weißt du noch?« (Als hätte ich nun antworten sollen: »Ja, ich erinnere mich genau.«) »Dieser Arzt. Wie hieß er gleich? Rapposo? Dr. Rapposo. Er sagte mir, ich müsste das Baby bis sechs Uhr abends bekommen, weil seine Frau sein Lieblingsgericht zum Abendessen kochte, und das wolle er nicht versäumen.«
    Ich kannte diese Geschichte.
    »Fischstäbchen«, murmelte ich.
    »Fischstäbchen. Kannst du dir das vorstellen? So ein simples Gericht. Ich hätte eher gedacht, es gäbe wenigstens Steak, wenn er es schon so eilig hatte. Nun ja, einerlei. Er bekam seine Fischstäbchen.«
    Sie sah mich vergnügt an.
    »Und ich bekam dich.«
    Wir gingen ein paar Schritte. Meine Stirn schmerzte, und ich rieb sie mit dem Handballen.
    »Was ist los, Charley? Tut dir etwas weh?«
    Die Frage war so schlicht, dass ich sie nicht beantworten konnte. Ob mir etwas wehtat? Womit sollte ich anfangen? Mit dem Unfall? Dem Sprung in die Tiefe? Der dreitägigen Sauftour? Der Hochzeit? Meiner Ehe? Den letzten acht Jahren? Wann hatte mir je nichts wehgetan?
    »Es ist mir nicht so gut gegangen, Mam«, sagte ich schließlich.
    Sie spazierte weiter und blickte auf das Gras vor sich.
    »Weißt du, nachdem ich deinen Vater geheiratet hatte, wünschte ich mir drei Jahre lang ein Kind. Wenn man damals drei Jahre lang nicht schwanger wurde, galt das als sehr lange. Die Leute dachten, etwas sei nicht in Ordnung mit mir. Ich selbst glaubte das auch.«
    Sie atmete hörbar aus. »Ein Leben ohne Kinder mochte ich mir gar nicht vorstellen. Einmal habe ich sogar... Warte. Wollen mal sehen.«
    Sie ging zu einem großen Baum hinüber, der nicht weit von unserem Haus entfernt war.
    »Das habe ich einmal spätabends gemacht, als ich nicht einschlafen konnte.« Sie strich über die Baumrinde, als suche sie nach einem verborgenen Schatz. »Ah. Ist immer noch da.«
    Ich beugte mich vor. BITTE war dort in die Rinde geritzt, in kleinen krakligen Buchstaben. Man musste genau hinschauen, um es zu erkennen, aber es stand da. BITTE.
    »Nicht nur du und Roberta haben geschnitzt«, sagte sie lächelnd.
    »Und was sollte das bedeuten?«
    »Es ist ein Gebet.«
    »Für ein Kind?«
    Sie nickte.
    »Mich?«
    Sie nickte wieder.
    »Aber auf einem Baum?«
    »Bäume blicken den ganzen lieben langen Tag zu Gott auf.«
    Ich verzog das Gesicht.
    »Ich weiß.« Sie hob ergeben die Hände. »Du bist so kitschig , Mama.«
    Sie berührte wieder die Rinde und machte leise: » Hmm «. Offenbar sann sie über alles nach, was sich seit jenem Nachmittag, als ich auf die Welt kam, in ihrem Leben ereignet hatte. Ich fragte mich, ob sich dieser Laut anders angehört hätte, wenn sie die ganze Geschichte gekannt hätte.
    »So«, sagte sie und wandte sich von dem Baum ab. »Nun weißt du, wie sehr du herbeigesehnt wurdest, Charley. Kinder vergessen das manchmal. Sie halten sich dann eher für eine Last als für einen Wunsch, der in Erfüllung ging.«
    Sie richtete sich auf und strich ihren Mantel glatt. Mir war nach Weinen zumute. Ein Wunsch, der in Erfüllung ging? Wie viel Zeit war vergangen, seit mir jemand so etwas gesagt hatte? Ich hätte mich schämen und bereuen sollen, wie ich meinem eigenen Leben den Rücken gekehrt hatte. Stattdessen sehnte ich mich nach einem Drink, nach einer schummrigen Bar, dem befriedigenden Gefühl, mit dem ich ein ausgetrunkenes Glas

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