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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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    »Nun ja, Rose, die Nachrichten sind immer bedrückend«, erwiderte sie jedoch und packte ihre Tasche aus.
    »Ooooh, ja«, sagte Rose. »Das ist wahr.«
    Moment mal. Wussten sie Bescheid? Oder nicht? Ich fühlte mich beklommen, als könne jeden Augenblick jemand ans Fenster klopfen und verlangen, dass ich mich stellen sollte.
    Doch stattdessen wandte Rose sich langsam zu mir um – erst die Gehhilfe, dann die Knie und die knochigen Schultern.
    »Das ist schön, dass du einen Tag mit deiner Mutter verbringst«, sagte sie. »Das sollten Kinder öfter tun.«
    Sie legte ihre zittrige Hand auf die Lehne des Stuhls am Waschbecken.
    »So, Posey«, sagte sie dann, »kannst du mich immer noch hübsch machen?«
     
     
    Wieso meine Mutter Friseurin wurde? Ich hatte ja schon erwähnt, dass sie früher Krankenschwester gewesen war, und sie liebte ihren Beruf. Sie brachte diese endlose Geduld mit, die man braucht, um Verbände zu wechseln, Blutproben zu nehmen und zahllose besorgte Fragen aufmunternd und hilfreich zu beantworten. Die Patienten freuten sich, wenn sie eine junge hübsche Frau um sich hatten. Und die Patientinnen waren dankbar, wenn meine Mutter sie frisierte oder ihnen dabei behilflich war, Lippenstift aufzutragen. Ich bezweifle, dass derlei damals üblich war, aber meine Mutter schminkte viele der Patientinnen im örtlichen Krankenhaus. Sie glaubte, dass sich die Frauen dann besser fühlten. Und darum ging es ja schließlich bei einem Krankenhausaufenthalt, nicht wahr? »Man soll da drin ja nicht verrotten«, pflegte sie zu sagen.
    Manchmal bekam sie beim Abendessen einen abwesenden Blick und sprach über die »arme Mrs. Halverson« mit ihrem Emphysem oder den »armen Roy Endicott« mit seinem Diabetes. Ab und an kam es vor, dass sie von einer Person nichts mehr berichtete. Wenn meine Schwester dann fragte: »Was hat denn die alte Mrs. Golinski heute gemacht?«, antwortete meine Mutter: »Sie ist heimgegangen, Schätzchen.« Mein Vater zog die Augenbrauen hoch und sah meine Mutter an, dann aß er weiter. Erst als ich älter war, wurde mir klar, dass »heimgehen« gleichbedeutend war mit »sterben«. An diesem Punkt wechselte mein Vater meist das Thema.
     
     
    Es gab nur ein einziges Krankenhaus im Bezirk, und nachdem mein Vater nicht mehr vorhanden war, versuchte meine Mutter so viele Schichten wie möglich zu arbeiten, weshalb sie meine Schwester nicht mehr von der Schule abholen konnte. Das übernahm dann ich. Ich brachte Roberta nach Hause und fuhr anschließend mit dem Fahrrad zurück zum Baseball-Training.
    »Meinst du, Papa ist vielleicht heute da?«, fragte Roberta manchmal.
    »Nein, du Dummi«, antwortete ich. »Warum sollte er da sein?«
    »Weil das Gras so hoch ist und er es mähen muss«, sagte sie. Oder: »Weil so viel Laub geharkt werden muss.« Oder: »Weil Donnerstag ist, und da macht Mama Lammkoteletts.«
    »Das ist doch kein Grund«, erwiderte ich.
    Meist zögerte sie ein Weilchen und stellte dann unweigerlich die nächste Frage.
    »Und wieso ist er weggegangen, Chick?«
    »Das weiß ich doch auch nicht! Er ist einfach abgehauen, okay?«
    »Das ist auch kein Grund«, murmelte sie dann.
    Eines Nachmittags, als ich zwölf war und Roberta sieben, hörten wir ein Auto hupen, als wir den Schulhof verließen.
    »Das ist Mami!«, rief Roberta und lief los.
    Meine Mutter stieg nicht aus dem Wagen, was merkwürdig war. Sie fand es ausgesprochen unhöflich zu hupen; Jahre später sagte sie immer zu meiner Schwester, dass ein Junge, der es nicht nötig hatte, aus dem Auto zu steigen und zur Haustür zu kommen, wenn er sie abholte, ihrer nicht würdig sei. Aber an diesem Tag blieb sie im Auto sitzen, und ich folgte meiner Schwester und stieg ein.
    Meine Mutter sah schlecht aus. Sie hatte schwarze Schatten unter den Augen und räusperte sich ständig. Und sie trug keine Schwesterntracht.
    »Was machst du hier?«, fragte ich. So redete ich damals mit ihr.
    »Gib deiner Mutter einen Kuss«, sagte sie.
    Ich streckte den Kopf über den Sitz, und sie küsste mich auf den Kopf.
    »Durftest du früher nach Hause?«, fragte Roberta.
    »Ja, Schätzchen, so ähnlich.«
    Sie schniefte, schaute in den Rückspiegel und wischte sich die schwarzen Schatten unter den Augen ab.
    »Wie wär’s mit einem schönen Eis?«, fragte sie.
    »Au ja!«, rief meine Schwester.
    »Ich hab Training«, sagte ich.
    »Ach, lass das doch einmal ausfallen.«
    »Nein!«, protestierte ich. »Man kann das Training nicht einfach

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