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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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Thelma auch?«
    »Bald«, antwortete meine Mutter.
    Ich trat vor sie.
    »Mama. Bitte.«
    »Sie hat mich gerufen, Charley.«
    Wir blickten beide zu dem Bett hinüber.
    »Miss Thelma? Sie hat dich zu sich gerufen?«
    »Nein, Schätzchen. Ich kam ihr in den Sinn. Ich war ein Gedanke. Sie hat sich gewünscht, dass ich bei ihr sein und sie hübsch zurechtmachen könnte, damit sie nicht so krank aussieht. Also bin ich gekommen.«
    »Ein Gedanke ?« Ich blickte zu Boden. »Ich kapier das nicht.«
    Meine Mutter trat dicht zu mir. Ihre Stimme war sanft. »Hast du schon einmal von jemandem geträumt, der nicht mehr da war, Charley? Und hast du dich im Traum mit diesem Menschen unterhalten? Die Welt, in der du dich dann aufhältst, ist ganz ähnlich wie die Welt, in der ich nun bin.«
    Sie legte ihre Hand auf meine. »Wenn du jemanden ins Herz geschlossen hast, wird er niemals wirklich verschwunden sein, sondern immer zu dir kommen, auch in ganz unwahrscheinlichen Momenten.«
    Miss Thelma grinste und schaute zu uns herüber, als ihre kleine Enkelin an ihren Haaren zupfte.
    »Erinnerst du dich an die alte Mrs. Golinski?«, fragte meine Mutter.
    Eine Patientin im Krankenhaus meiner Mutter, die eine tödliche Krankheit hatte und im Sterben lag. Sie erzählte meiner Mutter täglich von Menschen, die sie »besuchten«. Menschen aus ihrer Vergangenheit, mit denen sie sprach und lachte. Meine Mutter berichtete damals beim Abendessen, wie sie in Mrs. Golinskis Zimmer schaute und sah, dass die alte Dame mit geschlossenen Augen lächelte und mit jemandem zu sprechen schien. Mein Vater meinte, sie sei »geistesgestört«. Eine Woche später starb sie.
    »Sie war nicht geistesgestört«, sagte meine Mutter jetzt.
    »Dann ist Miss Thelma...«
    »Nahe.« Meine Mutter verengte die Augen. »Je näher man kommt, desto leichter fällt es einem, mit den Toten zu sprechen.«
    Ich spürte, wie mich ein kalter Schauer überlief.
    »Heißt das, ich...«
    »Sterbe«, wollte ich eigentlich sagen, oder »bin tot«.
    »Du bist mein Sohn«, flüsterte sie. »Das bist du.«
    Ich schluckte. »Wie viel Zeit bleibt mir noch?«
    »Dir bleibt noch Zeit«, antwortete sie.
    »Nicht viel?«
    »Was ist viel?«
    »Das weiß ich nicht, Mama. Werde ich für immer bei dir bleiben, oder wirst du im nächsten Augenblick verschwunden sein?«
    »In einem einzigen Augenblick kann man etwas wirklich Wichtiges entdecken«, sagte sie.
    In diesem Moment zersprang alles in Miss Thelmas Haus, was aus Glas bestand: Fensterscheiben, Spiegel, Fernsehbildschirme. Die Splitter wirbelten um uns herum, als stünden wir im Auge eines Hurrikans. Über das Getöse hinweg dröhnte eine Stimme:
    »CHARLES BENETTO! ICH WEISS, DASS SIE MICH HöREN KÖNNEN! ANTWORTEN SIE!«
    »Was soll ich tun?«, schrie ich meiner Mutter zu.
    Sie blinzelte gelassen, während die Glassplitter um sie herumsausten.
    »Das liegt ganz bei dir, Charley«, sagte sie.

ABEND

Die Sonne geht unter
    W enn der Himmel Oma nicht mehr braucht, hätten wir sie gerne wieder, danke schön.« Diesen Spruch hatte meine Tochter beim Begräbnis meiner Mutter ins Gästebuch geschrieben, versponnen wie Teenager nun einmal sind. Doch als ich meiner Mutter nun wieder begegnete und von ihr erfuhr, wie diese »Totenwelt« funktionierte und dass man durch Erinnerungen zu Menschen gerufen wurde, fragte ich mich, ob Maria nicht damals eine Ahnung davon gehabt hatte.
    Der Sturm aus Glassplittern in Miss Thelmas Haus hatte sich gelegt; ich musste die Augen zukneifen, um ihm Einhalt zu gebieten. Einige Splitter steckten mir in der Haut, und ich versuchte, sie zu entfernen, aber das fiel mir ungeheuer schwer. Ich wurde immer schwächer, schwand dahin. Dieser Tag mit meiner Mutter neigte sich dem Ende entgegen.
    »Werde ich sterben?«, fragte ich.
    »Das weiß ich nicht, Charley. Nur Gott weiß das.«
    »Bin ich hier im Himmel?«
    »Du bist in Pepperville Beach. Kannst du dich nicht mehr daran erinnern?«
    »Wenn ich tot bin... wenn ich sterben sollte... bin ich dann mit dir zusammen?«
    Sie grinste. »Aha, jetzt willst du also mit mir zusammen sein.«
    Das mag sich ein bisschen kalt anhören. Aber sie war einfach nur so, wie sie immer war, witzig und ständig zum Scherzen aufgelegt – so wäre sie auch gewesen, hätten wir diesen Tag vor ihrem Tod zusammen verbracht.
    Außerdem hatte sie Recht. Ich hatte mich so oft dagegen entschieden, Zeit mit ihr zu verbringen. Zu viel zu tun. Zu müde. Mir steht nicht der Sinn danach. Kirche ? Nein,

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