Nur Engel fliegen hoeher
diesen Mann auf illegalem Wege aus der DDR herauszuholen.«
»Wer sagt das?«
»Es ist durchaus denkbar, dass das erotische Treffen in Prag auch dazu diente. Ihre Beziehung zu Julia wäre möglicherweise an dem Tage zu Ende, an dem ihr ostdeutscher Liebhaber im Westen ankommt.«
Jaegersson schaltet die Scheibenwischer aus, nimmt sich eine Zigarette aus der HB-Schachtel, die auf der Mittelkonsole des Wagens liegt. Er bietet auch Davis eine an. Der zögert einen Moment, greift dann aber doch zu.
»Eigentlich bin ich Nichtraucher«, sagt er, nimmt einen tiefen Lungenzug und schweigt. Schließlich fragt er: »Mr. Jaegersson, was kann ich tun, um zu verhindern, dass der Kerl in den Westen kommt?«
»Beobachten Sie Ihre Lebensgefährtin vielleicht etwas aufmerksamer. Es könnte sein, dass Julia plant, ihm Fluchthilfe zu leisten. Wie Sie das verhindern können, kann ich Ihnen nicht sagen.«
Sie rauchen schweigend. Davis bedankt sich für das Treffen, wünscht einen angenehmen Abend, steigt aus dem Mercedes und geht davon.
Sein Gesprächspartner schaltet die Scheibenwischer wieder an und beobachtet, wie er im Regen verschwindet. Als er sicher ist, dass er nicht zurückkommt, schließt er das Handschuhfach des Wagens auf, schaltet die Videokamera aus, nimmt die Kassette heraus und steckt sie in die Tasche.
Kapitel 23
Am letzten Wochenende im Mai ordnet Jonas in seinem Haus in Langenhagen, das ihm nicht mehr gehört, alle Privatsachen. Er rechnet damit, dass die Behörden ihn spätestens Mitte Juni vor die Tür setzen werden. Um die angebotene Neubauwohnung hat er sich nicht gekümmert. Er will sich von der Stasi nicht in ein vorgegebenes Raster zwingen lassen.
In eine A4-große Dokumententasche sortiert er alle Zeugnisse und Urkunden von Ellen, Maria und sich. Dazu legt er wenige ausgewählte Familienfotos. In eine große Reisetasche kommen sein 6 x6-Dia-Archiv und seine Schwarz-Weiß-Negative, die in zusammengefalteten und seitlich zugeklebten Kontaktbögen stecken. Dazu packt er die liebsten Kleidungsstücke von Ellen, Maria und sich sowie Marias liebste Puppen und Plüschtiere. Obenauf legt er seine 6x6-Kamera plus ein Weitwinkel- und ein Teleobjektiv. Die Kleinbildausrüstung hat er griffbereit in seiner Kameratasche.
Er geht noch einmal durch das Haus und denkt voller Wehmut an die glückliche Zeit, die sie hier als Familie verbracht haben. Doch es gibt kein Zurück mehr. Für den Notfall, wenn alles schnell gehen muss, sind seine Sachen gepackt. Er schließt die Reisetasche, die Dokumentenmappe und die Kameratasche in den Kofferraum seines Autos und wirft eine Decke darüber.
Gerade schaltet er die Kaffeemaschine an, da hört er, dass ein Wagen vor seinem Haus parkt. Durch das Küchenfenster sieht er einen roten Audi mit Kieler Kennzeichen. Ein Mann um die vierzig in dunklem Anzug steigt aus und sieht sich um.
»Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?«
»Sind Sie der Fotojournalist Jonas Maler?«
»Kommen Sie herein. Der Kaffee läuft gerade durch.«
Sie nehmen auf den Gartenstühlen auf der Wiese Platz. Die Obstbäume blühen. Jonas serviert Kaffee.
»Das ist ja wie im Paradies.«
»Leider hat der Teufel das Paradies okkupiert.«
»Ich heiße Detlef Fliege«, sagt der Besucher gedämpft. »Ich bin Pressechef der Nordeibischen Kirche in Kiel.« Er legt eine Visitenkarte auf den Tisch. »Herr Maler, können Sie am übernächsten Wochenende für mich fotografieren? Es geht um die Domweihe in Greifswald.«
»Die Domweihe? Wenn Honecker und Genossen sich in der Kirche feiern lassen wollen? Und West-Prominenz wie Björn Engholm dabei zugucken soll? Da darf ich mit Sicherheit nicht fotografieren, da dürfen nur handverlesene Parteijournalisten rein.«
Der Besucher will ihn unterbrechen, doch Jonas sagt: »Herr Fliege, ich habe einen Ausreiseantrag gestellt und Berufsverbot. Offiziell darf ich nicht einmal Rostock verlassen. Wie kommen Sie gerade auf mich?«
»Gute Freunde haben Sie empfohlen. Es soll zu Ihrem Schaden nicht sein. Ob Sie das persönliche Risiko eingehen wollen, können natürlich nur Sie selbst entscheiden.«
»Ich würde wirklich gern für Sie fotografieren, aber ich werde nicht einmal durch die erste Bannmeile kommen.«
»Überlassen Sie das mir. Ich werde Sie als Fotografen der Nordeibischen Kirchenzeitung akkreditieren lassen.«
Jonas sieht ihn mit offenem Mund an.
»Also, Herr Maler, ich brauche exakt fünf Fotos für unsere aktuelle Ausgabe. Den Dom von außen, einen Blick ins
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