Nur für einen Sommer: Sommerträume (German Edition)
spürte, wie sie sich empört versteifte, zog er sie in den Fahrstuhl. „Der Punkt ist, ich mache mir nichts aus Restaurants und noch weniger aus Menschenansammlungen und Unterbrechungen.“ Ruhig summte der Fahrstuhl bei der kurzen Auffahrt. „Haben Sie die Tagung lohnend gefunden?“
„Ich werde bekommen, wofür ich gekommen bin.“ Kaum glitt die Fahrstuhltür auf, trat sie hinaus.
„Und das ist?“
„Warum sind Sie gekommen?“ gab sie zurück. „Es ist nicht gerade eine Angewohnheit von Ihnen, auf Tagungen zu gehen.“
„Gelegentlich genieße ich den Kontakt mit anderen Schriftstellern.“ Er schloss seine Tür auf und bat sie hinein.
„Diese Konferenz quillt nicht gerade über von Autoren, die Erfolg haben.“
„Erfolg hat nichts mit Schreiben zu tun.“
Sie legte ihre Tasche und die Mappe hin und sah ihn offen an.
„Leicht zu sagen, wenn man ihn hat.“
„Ja?“ Er zuckte die Schultern, als wäre er amüsiert, dann machte er eine Handbewegung zum Fenster. „Sie sollten die Aussicht genießen. Etwas Vergleichbares können Sie durch kein Fenster in Los Angeles sehen.“
„Sie machen sich nichts aus Los Angeles?“ Wenn sie vorsichtig und klug vorging, bekam sie vielleicht heraus, wo er lebte.
„Los Angeles hat seine Vorteile. Möchten Sie Wein?“
„Ja.“ Sie trat ans Fenster. Die Weite der Landschaft hatte immer noch die Macht, Lee in Erstaunen zu versetzen und war fast beängstigend. Wenn man erst außerhalb der Stadtgrenzen war, konnte man meilenweit wandern, ohne ein anderes Gesicht zu sehen, ohne eine andere Stimme zu hören. Lee drehte sich wieder um. „Waren Sie oft dort?“
„Hmm?“
„In Los Angeles?“
„Es geht.“ Er trat zu ihr und reichte ihr ein Glas mit goldfarbenem Wein.
„Ziehen Sie den Osten oder den Westen vor?“
Er lächelte und hob sein Glas. „Ich habe es mir zum Grundsatz gemacht, mich dort wohl zu fühlen, wo ich bin.“
Äußerst geschickt im Ausweichen, dachte sie und ging im Raum herum. Er war auch geschickt darin, sie sich unbehaglichfühlen zu lassen. Wenn sie sich nicht sehr irrte, tat er beides mit Absicht.
„Reisen Sie oft?“
„Nur, wenn es notwendig ist.“
Lee trank ihr Glas aus und entschied, noch einen direkteren Angriff zu versuchen. „Warum machen Sie ein solches Geheimnis aus sich selbst? Die meisten Menschen in Ihrer Position sind an Öffentlichkeitsarbeit und Werbung für sich besonders interessiert.“
„Ich mache kein Geheimnis aus mir, noch bin ich wie die meisten Menschen.“
„Auf Ihren Bucheinbänden gibt es nicht einmal biographische Angaben oder ein Foto.“
„Mein Gesicht und mein Leben haben nichts mit den Geschichten zu tun, die ich erzähle. Schmeckt Ihnen der Wein?“
„Sehr gut“, antwortete sie, obwohl sie ihn kaum geschmeckt hatte. „Meinen Sie nicht, es sei Teil Ihres Berufes, die Neugier der Leser über den Menschen zu befriedigen, der die Story geschrieben hat.“
„Nein. Mein Beruf ist, Worte zu einer Erzählung zu verknüpfen, so dass der Leser unterhalten wird, gefesselt ist.“ Er nahm einen Schluck Wein, der ihm offensichtlich schmeckte. „Der Erzähler ist nichts, verglichen mit der Erzählung selbst.“
„Bescheidenheit?“ fragte Lee mit einem Anflug von Spott.
Der Spott schien ihn zu amüsieren. „Überhaupt nicht. Wenn Sie mich besser kennen würden, wüssten Sie, dass ich sehr wenige Tugenden besitze.“ Er lächelte. Lee sagte sich, sie habe sich das kurze Aufblitzen eines Raubvogelblicks nur eingebildet.
„Haben Sie denn überhaupt Tugenden?“
Er mochte es, dass sie zurückschlug, selbst wenn sie dabei eindeutig übernervös war. „Manche sagen, Laster seien interessanter und auf alle Fälle unterhaltsamer als Tugenden.“ Auf einen Blick von ihm nickte sie, und er füllte ihr Glas neu. „Würden Sie dem zustimmen?“
„Vielleicht.“ Sie weigerte sich, den Blick von ihm zu nehmen, während sie trank. „Auf alle Fälle herausfordernder.“
„Ich muss noch einmal wiederholen, Sie sind eine interessante Frau, Lenore.“
„Ich bin eine Frau, die nicht zusehen will, wie andere an die Spitze klettern, während sie selbst diktierte Briefe tippt und Kaffee macht.“ Kaum war das ehrliche Eingeständnis ausgesprochen, verwünschte sie sich dafür. Es war nicht ihre Art, so freimütig zu reden. Außerdem war sie hier, um ihn zu interviewen, nicht umgekehrt.
Ehrgeiz. Den hatte Hunter bei ihr von Anfang an gespürt. Aber was war es, wonach sie strebte? „Verraten Sie mir,
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