Nur für Schokolade
sich nicht so ganz glücklich fühlen.
Die Väter indes begutachten die mitgebrachten Waren und streicheln ihren Frauen über die Wangen, wenn das Richtige dabei ist. Große Ansprüche können sie nicht stellen, die Frauen dürfen vieles gar nicht mitbringen. Ein gelungener Besuchstag ist für die Gefangenen, wenn genügend Rauchwaren und
Kaffee dabei sind, denn dafür können sie sich von den anderen Mitgefangenen alles kaufen. Nicht immer nur selbstgedrehte Zigaretten zu rauchen, sondern »Aktive« aus der Schachtel ist etwas Besonderes für sie.
Vor allem die Großzügigkeit der Beamten verwundert doch sehr: oft genug sehen sie weg, wenn die Frauen ihren Männern Gegenstände in die Jackentaschen stopfen. Wen wundert es da, daß in diesem Gefängnis Rauschgift ein großes Problem und beliebtestes Zahlungsmittel ist? Die Frauen, die hier ihre Männer besuchen und ihnen den Eindruck vermitteln, als würde dies an einem anderen Platz stattfinden, beeindrucken den unbefangenen Besucher. Er bemerkt, wie all diese Frauen bemüht sind, ihre Männer zu trösten, und offensichtlich sind sie froh, daß der Kontakt zwischen Vater und Kindern
aufrechterhalten bleibt. Man kann sehen, wie wichtig ihnen dieser kurze Besuch ist, und wer weiß schon, was diese Frauen während der anderen Tage erleben.
Die Blicke der Nachbarn, das Verhalten der Freunde und der Familie, welche Last müssen diese Frauen ertragen, nur weil sie diese Männer lieben, die die Väter ihrer Kinder sind. Die Männer indes haben mit der Situation offensichtlich keine Probleme, es scheint fast, ihre Frauen würden sie in einem 224
Krankenhaus besuchen und nicht in einem Gefängnis. Was mag Leszek Pekalski an solchen Tagen denken, wenn alle Gefangenen vom Besuchstag sprechen und er in all den vier Jahren noch nie auch nur eine Person aus seiner Familie zu Gesicht bekam? Einmal sagte er ja: »Vor allem hätte ich meine Zwillingsschwester gerne einmal wiedergesehen.« Doch
Leszek Pekalski, den Gefangenen von Zelle 53 des Gefängnisses, will niemand sehen, nicht einmal seine Schwester. Er ist ein Monster, das niemand sehen will. Eine Bestie, an deren Händen Blut klebt. Und doch will er besucht werden.
Geschenke empfangen, plaudern.
»Warum hast du das getan?«
Der Vater von Sylwia R. wird an diesem Tag noch Besuch empfangen: das Fernsehteam hat sich angekündigt und will mit seiner Frau und ihm über den Tod ihrer Tochter sprechen. Dem Team war bekannt, daß die Eltern ihr Kind selbst gefunden haben, an dem Ort, an dem sie getötet wurde. Es war dieser Vater, der ein Kreuz mit einer Aufschrift errichtet hat, die einem stillen Schrei gleicht.
Obwohl der Beobachter schon mit vielen Verwandten von Opfern des Leszek Pekalski gesprochen hat, ist dieses Interview doch etwas Besonderes. Als sie zuvor das Kreuz besichtigten, standen allen Beteiligten die Tränen in den Augen. Was muß ein Vater, was die Mutter fühlen, wenn sie ihr Kind, blutüberströmt, kaum mehr zu erkennen, am Boden liegen sehen? Welcher Schmerz kann größer sein auf dieser Welt? Wie können Eltern, die ein Kind auf solch unfaßbare, grausame, niederträchtige Art verlieren, weiterleben? Was fühlen sie – fühlen sie noch, können sie noch fühlen? Oder gleicht ihr Inneres einer leeren Wüste – einer Wüste, die ihren Sand immer weiter in einst blühende Gebiete treibt? Wie oft 225
schrecken sie hoch in der Nacht, im Glauben, gerade ihre Tochter schreien gehört zu haben? War da nicht ein Hilferuf?
Hat sie nicht eben gejammert? Ist sie vielleicht gar nicht …
tot?
Sie muß leben! Sie ist doch ein Kind! Sie hat doch noch so viel vor sich, weiß doch gar nicht, wie vielfältig das Leben sein kann … hat nur gespürt, wie sich die Bestie Leszek Pekalski an ihrem jungen Körper befriedigt. Hat die Hölle gespürt und in ihren Abgrund geblickt, obwohl sie nie einen Dämon
beschworen hat.
Dieser Dämon beschwor sich selbst. Sein Altar war ganz Polen. Das Video der Gerichtsmedizin, von einer handver-lesenen Personengruppe gesehen und ausgewertet (u. a. von Ärzten und der Staatsanwaltschaft), zeigt, in welchem Zustand Sylwia R. gefunden wurde. Es deutet auch an, in welcher Raserei sich Leszek Pekalski befunden haben muß, als er tötete. Der Anblick des geschundenen Mädchens hinterläßt auch bei den untersuchenden Ärzten tiefe Spuren.
Es ist schon Abend, eine kleine Landstraße führt zum Haus der Eltern von Sylwia. Im Mondlicht sieht man das Kreuz, das der Vater für seine
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