Nur für Schokolade
Frau stellt sich noch am selben Nachmittag vor. Sie ist in den Sommermonaten
Reiseleiterin und in der übrigen Zeit steht sie Geschäftsleuten zur Verfügung. Die kleine, quirlige Frau ist voller Tatendrang und gespannt darauf, was sie übersetzen soll. Als sie erfährt, was auf sie zukommt, daß sie sich mit dem Staatsanwalt hier 231
im Hotel treffen würde und am Montag ein Besuch bei Leszek Pekalski im Gefängnis vorgesehen sei, wird sie aufgeregt.
»Bei Leszek Pekalski, dem Massenmörder? Im Gefängnis?«
fragt sie argwöhnisch.
Als ihr Auftraggeber erklärt, daß er dafür Verständnis hätte, wenn sie nicht mit in das örtliche Gefängnis zu diesem Menschen gehen möchte, schüttelt sie resolut den Kopf: »Nein, den Leszek Pekalski möchte ich schon kennenlernen. Ich bin viel zu neugierig, um mir diese Chance entgehen zu lassen«, erklärt sie und alle Angst weicht in diesem Moment von ihr.
»Ich, beim größten Menschenschlächter Polens. Ich, mit ihm in einem Raum«, sagt sie vor sich hin.
Noch für denselben Spätnachmittag erhalten beide die
Zusage, daß der Staatsanwalt ins Hotel kommen will. Er ist angenehm überrascht, weil jemand für seine Zwecke eine weite Reise gemacht hat, um die gewünschte Kassette zu über-bringen. Er erklärt sich bereit, Informationen, die sich nicht auf die noch folgenden Prozeßtage beziehen, preiszugeben. So wird manche Frage, die in Zusammenhang mit Leszek Pekalski immer wieder auftauchte, an diesem Tag erörtert.
Nach drei Stunden verabschiedet er sich und verspricht, sich am nächsten Tag wieder mit dem Duo zu treffen. Auch die Dolmetscherin ist froh, sich zu verabschieden, denn: dieser Tag, der 30. November, ist einer der ganz großen Feiertage Polens. An diesem Tag haben alle Polen Namenstag. »Sie werden ja sehen«, heißt es, »was da bei uns heute Abend los ist im Restaurant, da wird getanzt und gelacht und natürlich auch getrunken bis morgen früh. Am besten, Sie bleiben an der Bar, denn schlafen können Sie heute nacht auf ihrem Zimmer vor lauter Lärm bestimmt nicht.«
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Guter Leszek, böser Pekalski
Wieviele Tote bleiben verscharrt?
Am nächsten Tag hat Staatsanwalt Buksa das Video gesehen und ausgewertet. Ungläubig hat er in der Nacht am Bildschirm verfolgt, wie Leszek Pekalski vor der Kamera eines deutschen TV-Teams den Mord an 14 Personen gestanden hat. Ist dies der Beweis, der das Gericht letztendlich von der Tatsache, einen bestialischen Serienkiller vor sich zu haben, überzeugen wird?
Ist dies der Moment in Leszeks Leben, in dem er die Maske des lieben »kleinen Jungen« vergessen hat, in dem er seine Tarnung aufgegeben hat? Am gleichen Tag ergibt sich für den Staatsanwalt ein vertrauliches Gespräch, in dem er über das Video, über Leszek und die Morde spricht. Dieses Gespräch wird im folgenden wiedergegeben.
»Ich werde das Video morgen früh dem Gericht vorspielen und ich bin überzeugt, daß das Gericht dieses Band als Beweismittel zulassen wird. Sie sind ja morgen früh sicher auch im Gericht, dann werden Sie sehen, wie es darauf reagieren wird.« Er spricht bei diesem Treffen auch über seine persönliche Einschätzung der Dinge.
»Ich bin überzeugt«, und man glaubt ihm, »daß Leszek
Pekalski weit mehr Menschen getötet hat als die achtzig, die er gestanden hatte. Bei den vielen Rekonstruktionen mit Leszek erzählte er immer wieder von weiteren Morden, die er in derselben Gegend begangen haben will, konnte sich jedoch nicht mehr genau an die Tatorte erinnern.«
»Aber Sie hatten doch seine schriftlichen Geständnisse mit den genauen Tatangaben wie Ort und Zeitpunkt?« wird er gefragt. »Das ist richtig, aber die Polizei hat an den ange-gebenen Stellen oft keine Leichen gefunden. Vielleicht haben sie schlampig gearbeitet und nicht die weitere Umgebung abgesucht. Ich weiß es nicht, warum in diesem Falle so viele 233
Fehler gemacht wurden.«
Leszek hat in einem Fall den Tatort so genau beschrieben, wie es nur der Täter konnte. Er beschrieb Gegenstände, die in einem Zimmer gewesen sein sollen, die aber, da neue Mieter in der Wohnung wohnten, nicht gefunden wurden. Als man
Angehörige nach diesen Gegenständen befragte, sicherten diese zu, daß sie sich früher in den Räumen befunden haben.
Auf die Frage, ob denn diese Wohnung zum Zeitpunkt der Tat anders ausgesehen hat, bekomme ich als Antwort:
»Sie sah so aus wie von Leszek beschrieben. Als ich die Akte mit den Aussagen der Zeugen bekam, stellte ich fest, daß
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