Nur für Schokolade
die Namen der für heute geladenen Zeugen sind notiert. Dabei fällt ein Name ganz besonders auf: es ist der Freund von Anika C.
dem Opfer Nr. 8 der Anklageschrift, der das Mädchen allein nach einer Zechtour nach Hause geschickt hatte. Nach starkem Alkoholgenuß wollte er Anika zunächst nach Hause bringen, doch als sie ihm unmißverständlich zu erkennen gab, daß sie auch wirklich nur nach Hause gebracht werden wollte, drehte er sich beleidigt um und ließ das Mädchen allein. Als er sich noch einmal nach ihr umdrehte, sah er Anika in Begleitung eines Mannes und schloß daraus, daß sie wohl einen Freund getroffen hatte. Wie sich durch die Gerichtsmedizin später herausstellte, wurde sie eine Stunde später ermordet.
Nachdem sich auf dem Anhang auch die Uhrzeiten befinden, für wann die Zeugen geladen sind, weiß man, daß dieser Mann auf einer der Bänke vor dem Gerichtssaal sitzen müßte. Dort sitzt nur ein blonder Mann mit einem Augenfehler und es ist bekannt, daß Anikas Bekannter einen solchen hat – also kann nur er es sein. Nach anfänglichem Zögern stellt er sich doch für ein paar Fragen der ihm unbekannten Personen zur Verfügung.
Die letzte beantwortet er leicht gereizt.
»Haben Sie, als Sie sich von Ihrer Freundin getrennt haben an diesem Abend, Leszek Pekalski erkennen können?«
»Dazu möchte ich nur im Gerichtssaal berichten und nicht hier«, lautet seine knappe Antwort und damit will er auch die Unterredung beenden. Die fiebrige Trophäenjagd auf alles, was mit Leszek Pekalski zu tun hat, macht selbst vor dem Blatt Papier, auf dem die Prozeßbeteiligten für den betreffenden Tag 216
aufgelistet sind, nicht halt: Natürlich ist klar, daß man diesen Zettel erst am Ende des Verhandlungstags abnehmen kann, doch das stört nicht. In der nächsten Verhandlungspause steht ein Trophäenjäger in der Türe, aus der das Gericht und die Protokollführerin herauskommen werden.
Die Schöffen und Richter grüßen, der Vorsitzende gibt aber zu verstehen: »Keine Interviews heute. Keine, o.k.! Die Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal habe ich genehmigt. Auf Wiedersehen«, und dabei betrachtet er ein Fernsehteam beim Auspacken der Kamera. Eine Dolmetscherin, die die Fernsehleute dabei haben, unterhält sich mit der Protokollführerin.
Obwohl das Team kein Polnisch versteht, können sie doch an den Gesten und am ständigen Kopfschütteln erkennen, daß aus dem Wunsch wohl nichts werden soll. »Unmöglich, das ist ein Gerichtsprotokoll, wie stellen Sie sich das vor«, wird übersetzt.
Im selben Augenblick kommt der Polizeibeamte, der die Reporter zum Verhandlungssaal geführt hat, zum Eingang des Gerichtssaales. Er übergibt dem wartenden Staatsanwalt einen Aktenordner.
Einem der anwesenden Reporter wird in diesem Moment
klar, daß er über den Polizeibeamten an viele, wichtige Informationen kommen könnte. Wenn er sich jetzt nur richtig anstellt. Er lächelt und schickt die Dolmetscherin vor.
»Wofür braucht er denn dieses Blatt?« will der Beamte wissen und als ihm die Dolmetscherin anvertraut, daß er ein verrückter Sammler solcher Dinge sei, flüstert er ihr ins Ohr:
»Warten Sie, bis die Verhandlung wieder begonnen hat, dann gebe ich es Ihnen.«
»Ach, seien Sie doch so nett und nehmen es ab, wir holen es uns dann in Ihrem Zimmer.«
Der Beamte nickt, lacht ein wenig und denkt dabei sicher an ein kleines Entgelt, das er hier vor Zeugen nicht hätte annehmen können. Die Kamera ist längst im Gerichtssaal aufgebaut und die Scheinwerfer sind installiert. Alles wartet 217
auf den neuerlichen Auftritt von Leszek Pekalski, der von drei Polizeibeamten vorgeführt wird. Mit gesenktem Kopf betritt er den Saal und stellt erfreut fest, daß eine Kamera auf ihn gerichtet ist.
Sofort wirft er sich in Pose und lacht in die Kamera. Er kann kaum erwarten, daß man ihn zu seinem Platz führt, um sich wieder in Szene setzen zu können. Er fühlt sich wie ein Star.
Keinen Augenblick läßt er von der Kamera ab, oft genug muß ihn der Vorsitzende ermahnen, der Verhandlung zu folgen.
Leszek posiert, achtet kaum auf das, was Richter und Staatsanwälte zu sagen haben. Klugerweise schaltet der Kameramann, der im Raum ist, die Beleuchtung aus und läßt Leszek glauben, daß nicht mehr gefilmt wird. Sein Interesse läßt nach.
Er beginnt, sich den Zuhörern zuzuwenden, und sucht nach neuen Gesichtern. Als er den Mann erblickt, von dem er am Vorabend seinen neuen Jogging-Anzug erhalten hat, verändern sich seine
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