Nur für Schokolade
Tochter errichtet hat. Gespenstisch gibt der Mond das Bild auf einen Ort des Grauens frei. Der Kameramann, der mit dem Team zum Haus der Eltern unterwegs ist, versucht, diese Szene, die Atmosphäre einzufangen. Ihm wird klar, daß er in wenigen Minuten im Haus der Eltern sein wird.
Daß seine Arbeit sie zwingen wird, noch einmal das
Grauenhafte zu duchleben, noch einmal die schrecklichste Zeit ihres Lebens zu erzählen – den Tag, an dem ihre Tochter starb.
In dem kleinen, bescheidenden Haus empfangen die Eltern die Besucher. Sie führen sie in ein mit Heiligenbildern versehenes Wohnzimmer. Beide sitzen auf der Couchgarnitur und warten geduldig auf Fragen. Der Vater, in brauner Kordhose und rotem Pullover, die Hände im Schoß übereinander-geschlagen, wirkt ruhiger als seine Frau Stefania, im Jeansrock 226
und grünrot gemusterten Pullover. Mitte Fünfzig. Sie kann die Fragen nicht mehr erwarten und beginnt mit bewegten Worten zu erzählen, was sich damals zugetragen hatte.
»Als unser Kind nicht nach Hause kam, nachdem es Abend geworden war, machten wir uns auf die Suche. Wir suchten den Nachhauseweg von Sylwia ab, vor allem den Weg durch den Wald, den sie gehen mußte. Plötzlich haben wir eine rote Plastiktüte gefunden, ich habe sie sofort erkannt, es war die von Sylwia, die sie immer bei sich hatte. Das Gras um die Tüte war ganz zertreten und ich bekam Angst, daß etwas geschehen sein könnte. Dann habe ich meinen Mann gerufen. Als er an die Stelle kam, haben wir die Schleifspuren entdeckt, die direkt in den Wald führten. Mein Mann und ich sind den Spuren gefolgt, dann haben wir einen Schuh von Sylwia gefunden.«
Sie fängt an zu weinen, aber sie will weiter berichten, immer wieder reibt sie ihre derben Hände aneinander.
Die Mutter von Sylwia R.
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»Ich habe es sofort gespürt, es war wie ein Schlag für mich, ich wußte, es war etwas Schreckliches passiert. Wir gingen weiter, immer tiefer in den Wald, immer der Spur nach. Immer wieder rief ich ihren Namen und hoffte, betete, daß sie noch am Leben ist. Ich rief immer wieder ihren Namen, sie sollte antworten, sie sollte mir zeigen, daß sie noch lebt. Immer mehr geriet ich in Panik und konnte die Situation nicht mehr ertragen.
Ich setzte mich auf den Boden und weinte und schlug mit den Händen auf den Boden, denn immer mehr kam der
Gedanke in mir auf, meiner Sylwia ist etwas Furchtbares geschehen. Mein Mann verfolgte die Spur weiter und fand schließlich unser Kind nackt in diesem Wald. Sie hat an diesem Tage ein Kopftuch getragen und mit diesem Kopftuch hat er sie erwürgt, man konnte die Würgemale sehr deutlich sehen. Auch die vielen Verletzungen am ganzen Körper. Mein Mann legte seine Jacke über Sylwia, bückte sich zu ihr nieder, nahm ihren blutüberströmten Kopf in seine Arme und weinte und weinte.
Ich weiß, er hat meine Tochter in den Wald geschleift, ich weiß nicht, wie er das gemacht hat. Ich glaube, er hat sie da ermordet, wo wir sie gefunden haben.«
Man merkt der Mutter an, wie schwer ihr diese Erzählung fällt und doch hat man das Gefühl, es muß aus ihr heraus, sie will berichten, was ihr und ihrem Mann angetan wurde. Sie führt ein Glas Wasser zum Mund, doch sie trinkt nicht, wie beschwörend beginnt sie erneut.
»Keiner darf mit Leszek Pekalski Mitleid haben, sie sollen ihn uns geben, dann bekommt er seine gerechte Strafe!«
Zum ersten Mal nimmt der Vater von Sylwia Stellung: »Ja, sie sollen ihn uns geben!«
Wenn man diesen Mann betrachtet, weiß man, was er erlitten hat, und daß er mit seiner Tochter gestorben ist. Wer will die Qualen erfassen, die dieser Mensch erdulden mußte, seine Tochter gedemütigt bis in den Tod gesehen zu haben.
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Geschunden bis in den Tod von einer Bestie, die heute in einer warmen Zelle lebt. Immer wieder wiederholt seine Frau: »Gebt ihn uns, wir geben ihm die gerechte Strafe.«
Dabei zeigen ihre rauhen Hände, was sie mit ihm tun würde.
Das Fernsehteam muß an die Worte einer Psychologin
denken: »Leszek Pekalski wollte grausamer sein als alle anderen.«
Hier, im Hause R., hat er erreicht, was er wollte – er hat nicht nur seinem Opfer das Leben genommen. Er hat eine Familie zerstört. Die Eltern weinen jetzt und auch ihre Besucher sind sehr traurig. Hier werden sie direkt mit den Auswirkungen konfrontiert, die Pekalskis Taten hervorriefen.
Hier gibt es keinen Abstand zum Grauen. Hier ist die
Wirklichkeit, nicht im Gefängnis, wo Leszek sitzt und Seifen stapelt und
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