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Nur Gutes

Titel: Nur Gutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Koch
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Anna, ‹Frau Mangold, es tut mir leid. Ich.›
    ‹Sie sind müde›, sagte Dagmar.
    ‹Ich war auf Vaters Grab letzte Nacht.›
    Albert bettete das Luftkissen um, auf dem er saß, sah zu Dagmar, er hob die schmalen Schultern, nur kurz.
    ‹Wie hätte das denn gehen sollen? Ich konnte ihn nicht besuchen, nicht anrufen. Ich konnte ihm nicht schreiben. So dumm bin ich nicht. Ich konnte nicht.›
    ‹Das war kein Vorwurf›, sagte Albert.
    ‹Ich weiß, es ist kein Vorwurf. Auf jeden Fall nicht Ihrer.›
    ‹Frau Baumer, möchten Sie, bevor Sie jetzt gehen, noch eine Tasse Tee?›

    Dann hob sie endlich die Tasse mit beiden Händen und trank einen kleinen Schluck, hielt die Tasse umfangen, nahm wieder einen Schluck und schien das Schlucken zu vergessen, Anna sah zum Rucksack, zum Fenster, zehn vor zehn Uhr, elfter Zwölfter.

    ‹So ein Zufall, dass Sie ausgerechnet heute kommen, wo auch Simon kommt mit Tim und Charlotte. So oft kommt er ja nicht, schon gar nicht mit den Kindern. Von Holden bis hier, mit dem Regionalexpress, ist es doch eine knappe Stunde. Was würde der staunen, Sie hier zu sehen, seine erste Anna. Seine Frau, die ihn vor einem Jahr verließ, heißt auch Anna. Zwei Annas in Simons Leben.›

    Kurz vor zehn Uhr rief mich Anna an, Anna Mangold, die mich vor einem Jahr aufgab, die Mutter meiner Kinder, Charlotte möchte einen Schneemann bauen, in Randsdorf, wohin sie gezogen waren, liege bereits Schnee, lieber als mit mir zu meinen Eltern reisen, möchte Charlotte heute einen Schneemann bauen, und ohne Charlotte wolle auch Tim nicht mit.
    ‹Paul sagte, es gebe keinen Grund, seine Frist zu strecken. So drückte Paul sich aus›, sagte Albert.
    ‹Das Herz?›, fragte Anna Baumer.
    ‹Das Herz. Auch.›
    ‹Anna›, sagte Albert, ‹Ihr Vater hat Sie sehr geliebt, Paul Baumer hat Sie geliebt.›
    Vor dem Fenster hingen Wolken, grau, gelb und schwer. Es wird bald schneien -
    ‹Das weiß ich, dass er mich liebte.›
    Annas Vater habe nicht zugelassen, dass in der Kirche jemand seinen Lebenslauf lese. Das habe, sagte Dagmar, Paul Baumer, als er noch konnte, allen verboten, dem Pastor, dem Präsidenten der Kirchgemeinde, allen.
    ‹Eine Frage, Anna, vielleicht unpassend oder taktlos: Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?›

    Warum antwortet sie nicht? -
    Sie antwortet nicht -

    Dagmar Mangold, massig, aber nicht dick, stand neben dem Kühlschrank, Albert Mangold, die Predigt in der Hand, die Brille auf der Stirn, saß am Tisch, Anna Baumer hielt sich an der Tasse.

    ‹Ihr Vater war fällig. Er war an der Reihe, satt vom Leben. Überfressen, sagte Paul. Am Leben habe er sich längst überfressen, sagte er. Man fand ihn, obwohl er aus eigener Kraft selten mehr aus dem Bett kam und dennochwenig Hilfe zuließ, fand man ihn unter dem Fenster seines Zimmers. Im Garten.›
    ‹Wo die Schaukel steht?›, fragte Anna.
    ‹Die steht nicht mehr, keine Schaukel mehr, kein Sandkasten wie damals›, sagte Albert.
    ‹Ja?›, bat Anna.
    Ein Mensch vom Elektrizitätswerk, am vorletzten Samstagmorgen unterwegs von Haus zu Haus, um die Stromzähler zu lesen, habe Paul Baumer gefunden, herabgefallen aus dem zweiten Stock.
    ‹Herabfallen›, sagte Albert, ‹die letzte Freiheit.›
    Anna stellte die Tasse auf den Tisch und schob sie über das Holz.
    ‹Vergangene Nacht war ich an seinem Grab. Die Erde, unter der er liegt, war zuerst noch warm, dann kalt, dann steif und trocken, Staub. Als es hell wurde, wollte ich hinaus. Hinaus aus diesem Friedhof. Dort liegt ja bereits. Mama liegt dort, meine Mutter. Ihr Grab, in der Nacht, habe ich nicht gefunden. Seins aber sofort. Weil es ganz neu ist. Weil Kränze dort liegen und Blumenschalen. Auf einmal hatte ich Angst. Und ich wollte hinaus. Jemand kam mir entgegen, jemand in Uniform, auf jeden Fall mit Handschuhen. Aus schwarzem Leder, und auf dem Kopf eine Mütze, Deckelmütze, eine Uniform. Sonst war da niemand, war da keiner. Und dann dachte ich: Bevor ich gehe, besuche ich Sie, wenn ich schon hier bin, dachte ich. Die Mangolds.›

    ‹Weshalb verbot er seinen Lebenslauf?›, fragte Anna.

    ‹Weil ich Teil davon bin?›, fragte sie.

    ‹Er wolle keinen Abspann, sagte Paul›, sagte Albert, ‹Ende sei Ende, fort sei fort.›
    ‹Keinen Abspann›, flüsterte Anna.
    Was für schönes Haar sie hat, dachte Dagmar, was für helle Haut. So, dachte Dagmar, stellt man sich vielleicht einen Engel vor.
    Albert sagte: ‹Paul Baumer hatte nichts mehr zu gewinnen, keinen Gott, keine

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