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Nur Gutes

Titel: Nur Gutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Koch
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einer Farbenfabrik, hatte es zu etwas Geld gebracht und damit ein Pferd gekauft, den braven Braunen Florian, den er sonntags über die Wiesen trieb, in die Wälder der Gegend, oft bis zum Abend. Manchmal nahm der Vater Albert mit in den Stall, damit er ihm half, den Zaum zu fetten, Stirnriemen, Backenstück, Genickstück, und den Sattel, Sattelblatt, Sattelpolster,Sattelriemen. Seinem Vater war Albert nie näher als dann, wenn sie stumm auf alten rohen Holzkisten saßen, das kalte Leder in den Händen, das langsam warm und weich wurde und nach frischen Nüssen roch.
    Einmal, beim Putzen des Zaumzeugs, sagte Albert zu seinem Vater: Wenn du willst, Papa, sing ich dir ein Lied, wenn du willst.
    Ein Lied?
    Wünsch dir ein Lied, Papa.
    Kein schöner Land.
    Das kenn ich nicht.
    Was für Lieder kennst du also?
    Soll ich sie dir singen, Papa, alle Lieder, die ich kenne?
    Albert, elfjährig, saß auf einer Kiste und sang die Lieder, die er kannte, Der Kuckuck und der Esel, Maus im Haus, Der Mond ist aufgegangen, Die liebe Maienzeit, Stille Nacht, Ein Jäger aus Kurpfalz, Zehntausend Mann, Hoch auf dem gelben Wagen, alle seine Lieder, zweimal, dreimal.
    Dann, vom Singen heiser, sagte Albert: Papa, so lange hat mir noch kein Mensch zugehört.
    Wochen später, der Vater kämmte den Braunen, fand Albert in der Satteltasche ein Stück Papier. Albert, ohne zu wissen weshalb, erschrak und steckte das Papier zurück. Zwei Nächte lang dachte er daran, und endlich schlich Albert, der Vater in der Fabrik, in den Stall, zog das Papier ans Licht, ein weißes Blatt, grüne Tinte: Heute Abend bis zehn bin ich allein, R. hat Sitzung, BarbaraBallett, kommst du hoch? Ich will dich spüren, Deine Brigitte.
    Brigitte Schöffling aus dem dritten Stock, Mutter von Barbara, die mit Albert in derselben Klasse saß. Wochen später fiel der Vater vom Pferd. Der Zügel, normalerweise festgemacht am Trensenring, riss plötzlich ab, der Braune scheute, es war Sonntag, Albert elf Jahre alt. Den Sturz hatte er nicht gewollt.
    Sie brachten den Vater nach Hause und legten ihn auf das Sofa, ein Arzt kam, zwei Wochen lang blieb der Vater im Krankenhaus, Albert, an der Hand der Mutter, besuchte ihn jeden Tag. Dann ging der Vater wieder zur Arbeit, sprach noch weniger und war oft zornig ohne Grund, seine rechte Hand, vom Fall gebrochen, war steif geworden und schmerzte.
    War Alberts Vater zornig, griff er sich seinen einzigen Sohn, zog ihm die Hose herunter und schlug ihn mit seiner rechten krüppeligen Hand und hörte erst auf, wenn Albert weinte und um Verzeihung schrie für alles.
    Albert aber hielt länger aus von Mal zu Mal.
    Albert verbot sich jeden Lärm und begann erst zu schreien, wenn ihm der Vater leidtat, der längst stöhnte vor Schmerz.

    Es war zwanzig nach zehn. Ich rief meine Eltern an, Dagmar und Albert Mangold, um ihnen zu sagen, dass ich allein käme, ohne Charlotte und Tim, ihre Enkel, weil sie lieber einen Schneemann bauten.
    ‹Eine Musikdose hab ich letzte Nacht in sein Grab gesteckt, eine Musikdose aus Finnland›, sagte Anna.
    ‹Eine Musikdose?›
    Anna schwieg.

    ‹Es heißt, Sie leben im Ausland, sagt man. Wenn Sie überhaupt noch leben, sagen die Leute. Es heißt auch, Sie hätten sich umgebracht›, sagte Dagmar.
    ‹Weil er›, sagte Anna, das schmale Gesicht in die rechte Hand gelegt, ‹Musikdosen liebte, mein Vater. Damals, als ich noch zu Hause war. An der Rosenstraße zwölf, glaube ich.›
    ‹Zwanzig›, sagte Dagmar.
    ‹Rosenstraße zwanzig›, sagte Anna.
    ‹Musikdosen liebte er über alles. Nicht genug konnte er davon bekommen. Eine Musikdose hab ich in sein Grab gesteckt. Mit einer Kurbel dran, um sie aufzuziehen.›
    Dagmar setzte sich auf Alberts Stuhl.
    ‹Die finnischen sind die schönsten. Mein Vater gab viel Geld aus für Musikdosen. Der Dachboden war voll davon. Musikdosen aus allen Ländern, die er irgendwo gekauft hatte. Und Mutter, wenn er wieder mit einer Musikdose nach Hause kam, die er irgendwo gekauft hatte, drehte das Gesicht weg und schwieg. Und das ertrug er schlecht. Und ich ertrug es auch nicht. Dann nahmen wir uns an der Hand, mein Vater und ich, und setzten uns an den Fluss und dachten, wie schön es war, als meine Mutter, Vaters Frau, noch redete mit uns. Ein feigerMensch war er, der Vater. Feig und gut. Ein guter Feigling.›
    ‹Das wusste ich nicht, dass er Musikdosen sammelte›, sagte Dagmar.
    ‹Finnische, italienische, deutsche, russische, englische, französische. Wir hatten Musikdosen,

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