Nur mit dir sind wir eine Familie
dort möglicherweise sogar Sean zu begegnen, aber eine schlaflose Nacht wollte sie auch nicht riskieren.
Innerlich hin- und hergerissen knipste sie die Nachttischlampe an und blickte hoch zur Decke. Von oben hörte sie den gedämpften Klang von Schritten und kurz das Plätschern von Wasser. Sie beschloss, rasch in die Küche hinunterzulaufen, sich ein Glas Milch in der Mikrowelle aufzuwärmen, einen Schuss Whisky hinzuzufügen und sofort wieder auf ihr Zimmer zurückzukehren. Sean würde nichts davon merken.
Sie fühlte sich wie eine Diebin, als sie die Treppe hinunterschlich. In höchstens zehn Minuten würde sie wieder im Bett liegen und über ihre Zaghaftigkeit lachen. Was konnte schon Schlimmes passieren, außer von ihrem Mann mit einem Becher Milch in der einen und der Whiskyflasche in der anderen erwischt zu werden?
Kurz darauf war sie in der Küche und bereitete sich ihren Schlummertrunk. Als sie mit dem Becher in der Hand das Wohnzimmer durchquerte, blieb ihr Blick an ihrem Lieblingssessel zwischen den beiden Fenstern hängen. Warum die Milch nicht dort trinken anstatt in dem unpersönlichen Gästezimmer? Im Haus war alles still, und bis auf den Schein der Straßenlaterne, der durch die Fensterläden drang, war es dunkel. Die intime Atmosphäre passte besser zu ihrer Stimmung als das helle Zimmer oben.
Während sie ihre Milch mit Schuss trank, dachte Charlotte an das Gespräch mit Sean und ihren wütenden Schlagabtausch zurück. Natürlich hatte er recht damit gehabt, dass es sinnlos war, die Vergangenheit wieder hervorzukramen, aber einige seiner härteren Anschuldigungen gingen ihr trotzdem nicht mehr aus dem Kopf. Vermutlich, weil sie begründeter waren, als sie sich bisher eingestanden hatte.
Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass es in den letzten Monaten ihrer Ehe so schwierig gewesen war, mit ihr zusammenzuleben. Erst nachdem sie nun Seans Vorwürfe gehört hatte, konnte sie besser nachvollziehen, dass auch er unter der Situation gelitten haben musste.
Bis auf die Schwangerschaft hatte sie bisher alles im Leben erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Kein Kind bekommen zu können, hatte sie als bittere Niederlage empfunden. Die ständigen Fehlschläge hatten sie so deprimiert, dass sie aufgehört hatte, die lustige, liebevolle, begehrende und begehrenswerte Gefährtin zu sein, die Sean so geliebt hatte. Stattdessen hatte sie sich zu einer angespannten, verkrampften und todunglücklichen Frau mit einer krankhaften Obsession entwickelt.
Doch damals hatte sie auch noch geglaubt, dass Sean sich genauso sehr nach einem Kind sehnte wie sie. Auch um seinetwillen war sie so verbissen gewesen. Wenn er ihr doch nur schon früher von seinen wahren Gefühlen erzählt hätte! Oder zumindest nicht einfach seine Sachen gepackt hätte und gegangen wäre …
Charlotte spürte, wie ihr plötzlich die lange unterdrückten Tränen über die Wangen liefen. Sie hatte es so gut gemeint – aber dadurch alles falsch gemacht. Und jetzt musste sie dafür mit dem Scheitern ihrer Ehe bezahlen.
Das Wunschkind hatte ihr Glück perfekt machen sollen. Erst jetzt, viel zu spät, wurde ihr bewusst, dass ihre Sehnsucht danach sie das Einzige kostete, was sie niemals freiwillig geopfert hätte – den Mann, den sie von ganzem Herzen liebte.
4. KAPITEL
Lege nie die Vertragsbedingungen fest, bevor du dir nicht absolut sicher bist, dass du sie auch einhalten kannst und willst …
Dieser schlichte Rat seines Vaters hallte in Seans Kopf wider, als er in seinem Schlafzimmer auf- und abging. Eigentlich hatte er sofort ins Bett gehen wollen, doch dazu war er viel zu aufgewühlt … schon allein deshalb, weil Charlotte nach sechs langen Monaten zum ersten Mal wieder ganz in seiner Nähe war. Er konnte jederzeit ins Gästezimmer gehen, sie in die Arme nehmen und mit ihr schlafen – genauso wie er es sich im letzten halben Jahr unzählige Male vorgestellt hatte.
Und sein Körper signalisierte ihm eindeutig, dass er das wollte. Gleichzeitig jedoch schossen ihm bei dem bloßen Gedanken daran wieder sämtliche Gründe durch den Kopf, warum er seinen Urinstinkten weder heute Nacht noch sonst jemals folgen durfte. Und diese Gründe hatte er einzig und allein sich selbst zuzuschreiben.
Er war schließlich derjenige gewesen, der von Scheidung gesprochen hatte, auch wenn Charlotte nicht den geringsten Einwand dagegen erhoben hatte. Sie schien zwar überrascht gewesen zu sein, vielleicht auch ein wenig gekränkt, hatte sich jedoch
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