Nur mit dir sind wir eine Familie
schmeckte ausgezeichnet, und der heiße süße Tee und die kleinen Kuchen, die sie sich zum Dessert teilten, rundeten die Mahlzeit perfekt ab.
Als Charlotte ihren letzten Schluck Tee trank, wurde ihr bewusst, dass sie und Sean bisher nur wenig geredet hatten. Normalerweise machten längere Gesprächspausen ihr nichts aus, aber zwischen ihnen war noch so viel unausgesprochen. Vor allem beschäftigte sie die Frage, ob Sean seine Meinung zum Thema Scheidung inzwischen eventuell geändert hatte.
Sie waren sich so nah gewesen, als sie miteinander geschlafen hatten, vor allem emotional – es hatte sich fast so angefühlt wie eine Erneuerung ihres Eheversprechens. Hatte die Kleine mit ihren strahlenden und wachen Augen, ihrem trotzigen kleinen Kinn und ihrem Überlebensinstinkt möglicherweise doch sein Herz erobert?
„Du starrst das letzte Stück Kuchen auf dem Teller so angestrengt an, dass ich fast Angst habe, es mir zu nehmen“, riss Sean sie aus ihren Gedanken.
Charlotte lächelte entschuldigend und schob den Teller zu ihm herüber. „Hier bitte, nimm es ruhig. Ich verspreche auch, dir nicht die Hand abzubeißen.“
„Danke.“ Sean schob sich den Kuchen in den Mund. „Hm, lecker. Und jetzt verrate mir, warum du auf einmal so ernst bist.“
War ja klar, dass er ihr den Stimmungswechsel ansah. „Ich habe nur nachgedacht“, antwortete Charlotte ausweichend und wandte den Blick ab.
„Worüber denn?“, fragte er und legte seine Hand auf ihre.
Diese Geste machte ihr Mut, aufrichtig mit ihm zu sein. Oder zumindest so aufrichtig, wie es in Anbetracht ihrer Abmachung, während des Aufenthalts in Almaty weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft zu reden, möglich war.
„Katie hat dir gefallen, oder?“, begann sie vorsichtig.
„Ja, sehr sogar.“ Seans Blick wurde ganz weich. „Sie ist ein sehr lebendiges, intelligentes Kind. In natura erinnert sie mich sogar noch stärker an dich als auf dem Foto von der Agentur.“
„Weil sie in Tränen ausgebrochen ist?“, scherzte Charlotte.
„Hey, das hast du gesagt, nicht ich“, protestierte Sean lachend. „Nein, es war die Art, wie sie uns angesehen hat. Sie betrachtete uns so aufmerksam, als versuche sie uns einzuschätzen. Du machst das ebenso, wenn du einen Raum voller Fremder betrittst.“
„Das stimmt. Aber nicht aus Schüchternheit, sondern aus Neugierde.“
„Das scheint mir bei Katie genauso zu sein. Wenn sie etwas mehr Zeit gehabt hätte, sich auf uns einzustellen, hätte sie vielleicht nicht so verängstigt reagiert, als ihre Betreuerin sie dir gegeben hat. Sie schien uns eigentlich ganz interessant zu finden.“
„Dann hätte ich uns also mehr Zeit mit der Annäherung lassen sollen?“ Charlotte verstand plötzlich, welchen Fehler sie gemacht hatte.
Seans Fähigkeit, Problemen auf den Grund zu gehen, war wirklich beeindruckend. Für einen Mann, der sich für unfähig hielt, ein guter Vater zu sein, besaß er ein erstaunliches Einfühlungsvermögen für Kinder. Charlotte zögerte jedoch, ihm das zu sagen. Auf keinen Fall wollte sie ihm das Gefühl geben, Druck auf ihn auszuüben.
„Es kann jedenfalls nicht schaden, es morgen im Waisenhaus etwas zurückhaltender anzugehen“, stimmte Sean zu und zeigte auf ihre Tasse. „Möchtest du noch einen Tee?“
„Nein danke. Ich habe genug.“
Er warf einen Blick auf die Uhr, zog seine Brieftasche aus dem Mantel und zählte sein Bargeld nach. „Wir haben noch ausreichend Geld zum Einkaufen“, stellte er fest.
„Lass uns für morgen früh ein paar Brötchen und Saft kaufen und uns einfach Kaffee aufs Zimmer bringen lassen“, schlug Charlotte vor und hakte sich nach dem Bezahlen bei ihm unter. „Dann müssen wir nicht so früh aufstehen.“
Sean sah sie an. „Warum hast du mir nicht eher gesagt, dass du müde bist“, fragte er. „Komm, wir nehmen uns ein Taxi und fahren direkt ins Hotel.“
„Ach, so müde bin ich noch gar nicht.“ Charlotte lächelte zweideutig. „Aber nachher bestimmt, und du hoffentlich auch, mein Lieber.“
„Ach, dann hat die Dame also schon Pläne für heute Abend?“ Seans Lächeln war so sexy, dass sie sofort Herzklopfen bekam. „Ich dachte, du bist vielleicht … wund.“
„Bin ich auch, aber nicht zu sehr“, gestand Charlotte und senkte den Blick. „Außerdem weiß ich ja, wie geschickt du mit den Händen und dem Mund bist.“
„Gut, dass ich gerade einen Mantel trage. Die anständigen Bürger von Almaty würden sonst verlegen die Augen
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