Nur wenn du mich hältst (German Edition)
wurde.
„Lass mich mal versuchen.“
Bo gab ihm das Telefon und musterte das ernste Gesicht des Jungen, während der der fröhlichen zweisprachigen Ansage seiner Mutter lauschte. Die großen braunen Augen wurden von einem so traurigen Ausdruck überschattet, dass Bo am liebsten mit der Faust gegen die Wand geschlagen hätte. Er wusste, dass sich seit ihrem letzten Anrufversuch am Flughafen nichts geändert hatte, aber verdammt, der Kleine musste sehen, dass er etwas unternahm. Irgendetwas. „Versuchen wir es im Untersuchungsgefängnis.“ Er wählte die Nummer, die Mrs Alvarez ihm gegeben hatte. Sofort erklang ein mehrsprachiges Menü, das von ihm verlangte, irgendwelche Tasten zu drücken. Das zog sich hin, bis er kurz davor war, das Telefon aus dem Fenster zu werfen. Nach mehreren Minuten hatte er sich zu einer Bandansage durchgekämpft. Er zwang sich, die Verbindung ruhig zu unterbrechen. „An Wochenenden und außerhalb der Öffnungszeiten haben sie geschlossen. Außer in Notfällen.“
„Das hier ist ein Notfall.“
„Ich weiß, dass es sich so anfühlt. Halte durch, okay? Gibt es sonst jemanden, den wir anrufen können? Einen Verwandten oder Nachbarn?“
„Mrs Alvarez vielleicht. Oder meine Lehrerin Mrs Jackson.“
„Die Nummern habe ich in meinem Handy.“ Bo scrollte zu einem der Einträge und drückte die Wähltaste. Sowohl hier als auch beim anderen Anschluss wurde er direkt zum Anrufbeantworter durchgestellt. „Wir versuchen es später noch einmal“, sagte er behutsam. „Wie wäre es mit deinem … Stiefvater?“ Ja, was war mit dem? Yolanda hatte Bruno geheiratet, und sie waren nach Houston gezogen. Der Mann hatte mehrere Jahre über eine Rolle in AJs Leben gespielt. Er war vielleicht in der aktuellen Situation keine Hilfe, aber für den Jungen könnte es gut sein, eine vertraute Stimme zu hören.
„Den kann ich nicht anrufen“, sagte AJ.
„Wieso nicht?“
„Ich habe seine Nummer nicht.“
Mistkerl . Bo biss sich auf die Zunge. Was für ein Loser zog sich einfach so aus der Affäre? Im nächsten Moment zuckte er schuldbewusst zusammen. Er würde gerne glauben, dass er an Brunos Stelle den Kontakt gehalten hätte, doch stimmte das wirklich?
Er griff nach seinem dicken irischen Troyer und zog ihn über. Sophie, die Frau seines besten Freundes, hatte ihm den Pullover zu Weihnachten geschenkt. Er war zwar kein Ire und auch kein Fischer, aber sie hatte ihm gesagt, die Wolle stamme von Bluefaced-Leicester-Schafen und halte einen Mann besonders warm und trocken, und im Strickmuster spiegele sich die Handschrift der Strickerin wider; es umgab den Träger mit ihrem Geist, beschützte ihn und brachte ihm Glück.
Er hoffte stark, dass der Pullover ihm Glück bringen würde. Er und AJ konnten es brauchen.
„Verdammt, das Ding kratzt.“ Bo fuhr mit dem Zeigefinger zwischen Hals und Kragen entlang.
„Warum trägst du ihn dann?“
„Weil Sophie ihn mir geschenkt hat. Wir treffen uns heute mit ihr, um über deine Mom zu reden, und es ist immer gut, das anzuziehen, was die Frau dir geschenkt hat, mit der du dich triffst. Das mögen sie. Ja, das ist eine gute Regel. Eines weiß ich mit Sicherheit, wenn eine Frau dir einen Pullover schenkt, dann trägst du ihn bei Gott auch lieber.“
„Selbst wenn er kratzt.“
„Ich habe für Frauen schon Schlimmeres erlitten.“ Kurz blitzten Erinnerungen auf, die er längst vergessen geglaubt hatte. „Weißt du, wenn meine Mama morgens Milchgrütze gemacht hat, habe ich sie immer gegessen. Magst du Grütze?“
AJ packte sich an die Kehle und gab einen Würgelaut von sich.
„Siehst du, genau mein Reden. Wo wir gerade von Essen sprechen, ich hol dir schnell was.“ Er ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. „Wir haben den Kuchen, den wir gestern gekauft haben, und … magst du Peperoni-Pizza?“
AJ nickte.
„Dann komm her und iss. Hast du gut geschlafen?“
Der Junge zuckte mit den Schultern. „Es ist hier ziemlich laut, also …“
Ein Piepen von draußen übertönte den Rest seiner Worte. Der Lärm kam vom Müllwagen, der rückwärts auf den Hof fuhr. Das Zischen der hydraulischen Hebearme und das Knirschen und Klappern des Mülleimers, der geleert wurde, folgten danach.
Als der Krach vorbei war, sagte Bo: „Abends kann es in der Bar unter uns ziemlich laut werden. Vor allem an den Wochenenden.“ Über einer Bar zu leben war ihm wie der beste Platz auf Erden vorgekommen. Jetzt fühlte er sich deswegen eher
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