Nur Wenn Du Mich Liebst
Rückzug antrat und außer Sichtweite verschwand. Sie atmete tief ein und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den bereits durchsuchten Regalen zu. »Wer nicht beißt, kann nicht kämpfen«, wiederholte sie leise das Mantra, das Dr. Slotnick ihr für den Fall vorgeschlagen hatte, sollte das Bedürfnis, ihre schwierige ältere Tochter – oder ihren stets munteren Mann – zu erwürgen, zu übermächtig werden. Nach Ansicht des angesehenen Familientherapeuten, den Susan eine Zeit lang konsultiert hatte, testete Ariel lediglich ihre Grenzen aus und rebellierte, weil Teenager eben rebellierten. Auf diese Weise würde sich ihre Tochter von ihren Eltern abnabeln, hatte der gute Doktor erklärt, ein eigener Mensch werden und ihr einzigartiges und unabhängiges Selbst herausbilden. Susan sollte versuchen, es nicht persönlich zu nehmen, was ihr vielleicht sogar gelungen wäre, wenn Ariels einzigartiges, unabhängiges Selbst nicht so unsympathisch gewesen wäre.
Owen hingegen schien keinerlei Probleme zu haben, Dr. Slotnicks Rat zu befolgen. Er begegnete seiner übellaunigen Tochter mit derselben gelassenen Freundlichkeit, mit der er auch seine Patienten behandelte. Er war sanft, verständnisvoll und stets höflich, egal, wie grob oder despektierlich Ariel ihn behandelte. Er ist ein Vorbild elterlichen Verhaltens, dachte Susan, und er fängt an, mir echt auf die Nerven zu gehen.
Susan zog die oberste Schublade des Einbauschranks auf und wühlte durch den ordentlichen Stapel von Slips und BHs, wo sie ihren Pulli, kaum überraschend, auch nicht fand. Warum sollte sie ihn auch woanders hingeräumt haben? Ohne zu bedenken, dass ihr Finger noch im Weg war, knallte sie die Schublade zu. »Scheiße! Verdammt, verdammt, verdammt!« Sie hüpfte in dem engen Raum auf und ab und wedelte ihre Finger in der Luft herum, als könnte sie den brennenden Schmerz dadurch lindern.
»Was ist denn jetzt wieder?«, fragte Owen aus dem Schlafzimmer.
Nicht: was ist, sondern: Was ist
denn jetzt wieder
? Wo blieb seine berühmte Geduld, wenn es um sie ging? Susan trottete mit einfältiger Miene ins Schlafzimmer. »Ich habe mir die Finger in der Schublade geklemmt.« Sie hielt ihrem Mann ihre Hand hin.
»Du wirst es überleben.« Er warf einen flüchtigen Blick in Richtung ihrer wedelnden Hand. »Hör auf, so herumzufuchteln.«
»Es tut weh.« Kannst du es nicht wenigstens mit einem Kuss besser machen?, hätte sie beinahe gesagt. Sie war der flüchtigen Pflichtküsse überdrüssig, die sich durch ihren Tag tupften: einen am Frühstückstisch, einen vor dem Aufbruch zur Arbeit, einen zur Begrüßung bei der Heimkehr, einen zur guten Nacht, wenn sie beide erschöpft ins Bett sanken. Küsse als Satzzeichen des Alltags, dachte Susan und fragte sich, wann in ihrer Ehe höfliche Langeweile die heiße Leidenschaft verdrängt hatte, wann ihr Sex so routiniert geworden war, etwas, was man tat, weil es von einem erwartet wurde. Sie konnten sich nach wie vor gegenseitig befriedigen, hatten es jedoch verlernt, sich zu überraschen. Wann hatten sie zum letzten Mal eine neue Stellung oder Technik ausprobiert? Wann hatten sie zum letzten Mal morgens miteinander geschlafen? Warum nicht jetzt gleich zum Beispiel, dachte Susan und machte einen Schritt auf ihren Mann zu. Vielleicht kann ich ihn überrumpeln, sein frisch gewaschenes weißes Hemd aufknöpfen und seinen glänzenden schwarzen Ledergürtel lösen.
»Solltest du dich nicht langsam anziehen?«, fragte Owen.
Susan erstarrte, blickte auf den cremefarbenen BH und den Slip, den sie trug, und kam sich vor wie mit einem Eimer kaltem Wasser begossen.
»Alles in Ordnung?«, fragte ihr Mann.
»Ja, alles okay.«
»Du bist ein bisschen spät dran, oder?«
»Verdammt«, sagte Susan, als ihr die Uhrzeit wieder einfiel, rannte zu ihrem Kleiderschrank, mühte sich mit einer Strumpfhose ab, zerrte ein beigefarbenes Seidenkleid vom Bügel und über ihren Kopf, stieß die Arme durch die langen Ärmel und zupfte es oberflächlich über der Hüfte zurecht. Sie marschierte ins Bad, fuhr sich mit einer Bürste durch ihr widerspenstiges, kinnlanges Haar und betrachtete mürrisch ihr Spiegelbild. Sie hatte wieder zugenommen. Kein Wunder, dass Owen das Interesse verlor. Nicht, dass er selbst in einer so tollen Verfassung wäre, im Gegensatz zu Peter Bassett, der dreimal pro Woche im Fitnessstudio hart daran arbeitete, seinen Körper in Form zu halten.
»Sie sollten irgendwann mal mitkommen«, hatte er letzte Woche
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