Nur Wenn Du Mich Liebst
hier«, befahl Barbara und ging in den Flur. Oder war Ron zurückgekehrt, um irgendwelche Wertgegenstände zu plündern, die er beim ersten Mal vergessen hatte?
»Wohin gehst du?«
»Ich bin gleich wieder da.«
Barbara durchquerte den Flur, öffnete Traceys Zimmertür und blickte zum Bett. Vielleicht war sie aufgewacht und zur Toilette gegangen. Doch Tracey lag in ihrem Bett, schlief fest und atmete gleichmäßig und tief. »Schlaf schön, mein süßes kleines Mädchen«, sagte Barbara, küsste Traceys warme Stirn, zog die Decken über ihre Schultern und schlich sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
Sie näherte sich der Treppe und tastete sich an der Wand entlang Stufe für Stufe hinab in die Dunkelheit, während sie sich gegen die Berührung unfreundlicher Hände auf ihren Schultern zu wappnen versuchte. Doch da war nichts. Kein unwillkommener Gast lungerte im Erdgeschoss, keine düsteren Gespenster geisterten durch die Räume. Sowohl die Haustür als auch der Seiteneingang waren sicher verriegelt. Barbara spähte ein zweites Mal nach draußen, konnte jedoch niemanden sehen. »Geh weg, wer immer du bist«, sagte sie in die bedrohliche Stille. »Und bleib weg.«
»Barbara?«, ertönte Chris' bebende Stimme am oberen Treppenabsatz.
»Alles okay. Hier ist niemand.«
»Es war wahrscheinlich bloß das Haus«, sagte Chris, als Barbara wohlbehalten wieder oben angekommen war. »Wenn es sehr kalt wird, machen Häuser doch manchmal Geräusche.«
Barbara sah sich misstrauisch um. »Das muss es gewesen sein.«
Die beiden Frauen standen unbeholfen in der Mitte des Raumes. Zum ersten Mal verlegen miteinander, dachte Barbara traurig.
»Barbara«, setzte Chris an und hielt dann inne, weil sie zweifelsohne dasselbe empfand.
»Du solltest jetzt ein bisschen schlafen«, sagte Barbara und versuchte, nicht an das zu denken, was eben zwischen ihnen geschehen war. »Du musst doch völlig erschöpft sein.«
»Ja«, stimmte Chris ihr sofort zu. »Und wie.«
Barbara nickte dankbar. »Ich auch.«
»Wegen dem, was vorhin passiert ist...«
»Ich verstehe schon«, sagte Barbara rasch.
»Wirklich? Ich weiß nämlich nicht, ob ich es verstehe.«
Barbara sah Chris an und versuchte, ihr eins ihrer patentierten Modeschönheitenlächeln zuzuwerfen, doch es wollte nicht auf ihren Lippen haften. »Können wir morgen früh darüber reden?«
»Klar.«
Ohne ein weiteres Wort kletterten die beiden Frauen in Barbaras Bett, wo Chris ihren Rücken an Barbara schmiegte. Wie zwei Löffel, dachte Barbara und erlaubte sich, ihren Arm sanft auf Chris' Seite zu legen. »Gute Nacht«, murmelte Chris, und der Schlaf verschliff die Konsonanten bereits so sehr, dass es sich mehr wie ein Seufzer anhörte.
»Schlaf gut«, flüsterte Barbara, als Chris' Körper sich unter ihrem Arm entspannte. Im nächsten Moment war Chris eingeschlafen, während Barbara sich störrisch weigerte, dem Schlaf nachzugeben. Bis der Tag dämmerte, der Himmel alle Dunkelheit ausgeblutet hatte und der neue Morgen hell heraufzog, lag sie so und wachte über ihre geliebte Freundin.
DRITTER TEIL
1991–1992
Susan
18
»Ariel, hast du meinen violetten Kaschmirpulli gesehen?« Susan stand, einen Haufen Pullover um die Füße, in ihrem begehbaren Kleiderschrank. Sie hörte das Radio in voller Lautstärke aus Ariels Zimmer dröhnen, was bedeutete, dass ihre Tochter in ihrem Zimmer war und wahrscheinlich noch immer im Bett lag. Susan sah auf die Uhr. Fünf nach halb neun. Das bedeutete, dass Ariel zu spät zur Schule kommen würde. Wieder mal. Aber darauf wollte Susan im Augenblick gar nicht länger eingehen. Sie hatte um neun eine Redaktionskonferenz, und momentan hatte ihr fehlender violetter Pulli Priorität vor ihrer chronisch verspäteten Teenagertochter. »Ariel?«
Owen steckte seinen Kopf herein. »Irgendwas nicht in Ordnung?«
»Mein violetter Pulli ist weg. Ich bin sicher, dass Ariel ihn hat.«
»Indem du schreiend in deinem Kleiderschrank stehst, wirst du bestimmt nichts erreichen.«
Susan lächelte, obwohl sie ihm am liebsten einen Schuh an den Kopf geschleudert hätte. Musste er denn immer so verdammt logisch sein? Außerdem schrie sie gar nicht. »Ariel, Schätzchen«, rief sie noch lauter, »hast du meinen violetten Pulli gesehen?«
Diesmal kam die Antwort prompt und bohrte sich wie eine Dynamitstange wütend durch die Wand zwischen ihnen. »Woher soll ich wissen, wo dein blöder Pulli ist?«
»Sag nichts«, warnte Susan ihren Mann, der unverzüglich den
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