Nur Wenn Du Mich Liebst
Chris sich, und ein neuer Schrei staute sich in ihrer Kehle. Oh Gott, Barbara. Warum Barbara? Womit hatte Barbara einen so grausamen Tod verdient? »Ich hätte es sein sollen«, schluchzte Chris laut. War sie nicht diejenige gewesen, um die alle Angst gehabt hatten? Hatten sie nicht seit Jahren mit angehaltenem Atem auf jenen schrecklichen Anruf mitten in der Nacht gewartet, durch den sie benachrichtigt würden, dass ihre Freundin in ihrem Bett zu Tode geprügelt worden war?
Doch als der Anruf schließlich gekommen war, war es nicht Chris' Name, der durch die Leitungen geflüstert wurde. Es war nicht ihre übel zugerichtete Leiche, die in einer Lache ihres eigenen Blutes neben dem Bett auf dem Boden lag.
Und was hatte Chris getan, während der Kopf ihrer besten Freundin zu blutigem Brei geschlagen worden war? Sie hatte in einer malerischen kleinen Pension am Rande der Stadt in einem gemütlichen Doppelbett gelegen und süßem Liebesgeflüster gelauscht. Während Barbara vor Entsetzen geschrien hatte, war es bei Chris das reine Entzücken gewesen, zum Höhepunkt gebracht durch zarteste Berührungen sanfter Finger und einer tastenden Zunge. Während Barbara sterbend auf dem Boden lag, war Chris in den geliebten Armen eingeschlafen und darin wieder aufgewacht, als ihre beste Freundin in einen Leichensack gepackt und zur Gerichtsmedizin gebracht wurde.
Sie hatte im Bett gefrühstückt, einen langen Spaziergang, die frische Luft, die Natur, den Frieden und die Stille genossen, sorgsam darauf bedacht, dass nichts ihre neu gefundene Gemütsruhe störte. Keine Zeitung, kein Fernseher, kein Radio. Nicht einmal auf der Rückfahrt in die Stadt. Eine CD mit Glenn Gould am Klavier hatte sie nach Hause begleitet.
»Möchtest du, dass ich mit nach oben komme und dich ins Bett bringe?«, hatte die geliebte Stimme ihr ins Ohr geflüstert.
»Nein, mir geht es gut«, hatte Chris geantwortet. Und so war es. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie ehrlich und aufrichtig behaupten, dass es ihr gut ging. Sie hatte ihren Frieden gefunden. Sie wusste, wer sie war. Sie hatte keine Angst mehr.
Sobald sie aus dem Fahrstuhl getreten war, hatte sie das Telefon klingeln gehört. Wahrscheinlich Tony, dachte sie und ließ sich auf ihrem Weg den Flur hinunter Zeit. Er hatte sie gefunden. Gut. So war es dann eben. Sie hatte keine Angst mehr.
Sie öffnete die Tür, schloss sie hinter sich ab und überlegte, ob sie überhaupt drangehen sollte. Wer außer Tony sollte sie abends um elf noch anrufen? Sie hätte es beinahe klingeln lassen, doch dann hatte irgendetwas sie angetrieben, doch abzunehmen. Vielleicht war es wichtig. Sie hob den Hörer ans Ohr, und der Klang von Susans Stimme attackierte ihr Trommelfell, noch bevor sie sich gemeldet hatte.
»Wo bist du gewesen? Ich habe den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen.«
Vielleicht war es doch ein Traum, dachte Chris wider besseres Wissen und klammerte sich an diese Selbsttäuschung. Sie schloss die Augen und sah Barbaras Gesicht, ihr süßes Gesicht, wie es sich veränderte und mit der Zeit, wider die Natur immer jünger wurde. Barbara hätte all die Schichten von Make-up, ohne die sie sich niemandem gezeigt hatte, all die kosmetischen Operationen, denen sie sich im Laufe der Jahre unterzogen hatte, nicht gebraucht. Es war fast so, als wäre sie trotz alledem so schön geblieben. Warum hatte sie diese Schönheit selbst nie erkennen können?
»Meine süße, schöne Barbara«, schluchzte Chris in das harte Kissen des blau-grün karierten Sofas. »Ich bin nicht mal dazu gekommen, mich zu verabschieden!«
Die Worte lösten eine neue Flut wütender, bitterer Tränen aus, und Chris musste in das Kissen beißen, um nicht laut zu schreien. »Nein!«, klagte sie, wand sich wie unter Schmerzen auf dem Sofa und hielt sich das Kissen vors Gesicht, als wollte sie alle Bilder, Klänge und andere Sinneseindrücke abblocken. »Nein!« Das Wort verhallte ungehört an dem billigen, von ihren Tränen feuchten Bezug. »Nein, nein, nein, nein, nein!«
Beinahe hätte Chris das schüchterne Klopfen nicht gehört, und selbst als sie es gehört und begriffen hatte, dass es nicht ihr Gehirn war, das gegen ihre Schädeldecke pochte, sondern tatsächlich jemand im Flur stand und klopfend um Einlass bat, war sie sich nicht sicher, ob sie die Kraft hatte, sich von der Couch zu erheben und zur Tür zu gehen. Wahrscheinlich war es Susan, die gekommen war, um zu sehen, ob es ihr gut ging. Oder vielleicht einer der
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