Nur Wenn Du Mich Liebst
Gurgeln hervor, als ob man ihr die Kehle aufgeschlitzt hätte und jedes Wort von einem Blutschwall begleitet würde.
»Es geht um Barbara.« Susans Stimme hallte immer noch in ihrem Kopf nach.
Barbara. Barbara. Barbara.
»Sie ist tot.«
Tot. Tot. Tot.
Chris wusste nicht mehr, was als Nächstes passiert war. Sie erinnerte sich vage an einen Schrei, unsicher, ob Susan oder sie selber ihn ausgestoßen hatte. Irgendjemand hatte sie über all die grausamen Einzelheiten informiert. Möglicherweise Susan oder der Fernseher. Sie erinnerte sich nicht daran, ihn eingeschaltet zu haben, doch seine Bilder flackerten wie ein Stroboskop, blieben selbst bei stumm geschaltetem Ton laut und zudringlich. Wann hatte sie ihn angemacht?
Ihre Handtasche lag neben ihrem malvenfarbenen Pullover auf dem Boden. Sie musste beides fallen gelassen haben, als sie von der Wohnungstür zum Telefon gestürzt war. Ein feiner Geruch von Erbrochenem hing in der Luft, und der unangenehme Geschmack in ihrem Mund erinnerte Chris daran, dass sie sich übergeben hatte. »Wer war es?«, erinnerte sie sich gefragt zu haben. »Weiß man das schon?«
»Die Polizei hat Tracey verhaftet.«
Das musste ein Irrtum sein. Oder einer von Tonys kranken Streichen. Das war es – Tony. Natürlich. Warum hatte sie nicht schon früher an ihn gedacht? Das am Telefon war gar nicht Susan gewesen, sondern Tony, der seine Stimme verstellt hatte. Im Laufe der Jahre hatte er all ihre Freundinnen ziemlich gut imitieren gelernt. Was war nur los mit ihr, dass sie es nicht gleich gemerkt hatte?
Aber wie erklärte das die flimmernden Bilder auf ihrem Fernsehschirm, die sich in ihr Gesichtsfeld drängten und wie ein tödliches Kissen auf Nase und Mund pressten, egal, wie oft sie auch umschaltete? Wie die eigenartig austauschbaren Nachrichtensprecher, die mit einer an Grausamkeit grenzenden, höflichen Gleichgültigkeit immer wieder dieselben grausigen Details vortrugen? Chris hatte den Ton abgeschaltet, um ihre einstudierte Nonchalance ein für alle Mal zum Verstummen zu bringen, doch irgendetwas hielt sie davon ab, den Fernseher ganz auszumachen.
Es war also nicht Tony.
Und es war auch kein Witz.
Barbara war tot. Tracey war unter dem Verdacht verhaftet worden, sie ermordet zu haben.
»Wo ist Tracey jetzt?«, erinnerte Chris sich, Susan gefragt zu haben.
»Im Helen-Marshall-Frauengefängnis. Ron wollte die Kaution stellen, aber seine Frau wollte Tracey nicht im Haus haben.«
Wahrscheinlich war da noch mehr, doch Chris war zu müde, um danach zu suchen, in welchem Winkel ihr geschocktes Gehirn weitere Details verborgen hatte. Sollte es schub- und stückweise kommen, in Fetzen und Fragmenten, Scherben und Splittern, dachte Chris rastlos. Sollte es kommen und gehen.
Passierte das alles wirklich?
Die letzte Nacht war so wundervoll gewesen. Endlich fügte sich alles. Und jetzt das...
Chris lehnte ihren Kopf an die grellen blau-grünen Polster ihrer Couch. Es war ein hässliches Sofa, ebenso unbequem wie unansehnlich, aber was wollte man von einem möblierten Apartment in einem eher ärmeren Viertel der Stadt erwarten? Als sie das Einzimmerapartment gemietet hatte, war sie davon ausgegangen, dass sie nicht länger als ein paar Monate bleiben würde. Sobald Tony die Adresse herausgefunden hatte, würde er wieder anfangen, sie zu belästigen, sie Tag und Nacht mit Anrufen zu bombardieren, stundenlang unter ihrem Fenster zu stehen, ihrem Vermieter wilde Räuberpistolen über sie zu erzählen und Hundekot auf ihrer Fußmatte zu deponieren. Egal, wie streng die Sicherheitsvorkehrungen waren, Tony fand immer einen Weg, sie zu umgehen. Egal, in welchem Stockwerk ihre Wohnung lag, es war nie hoch genug.
»All Morgen ist ganz frisch und neu«,
sang er um vier in der Frühe durchs Telefon.
»Des Herren Gnad und große Treu.«
Doch nun war es schon Ende August, und bis auf sein unerwartetes Erscheinen in Susans Haus neulich hatte sie seit Monaten nichts von ihm gehört oder gesehen. War das Teil seines großen Planes, sie unvorbereitet zu erwischen? Oder dachte er vielleicht, dass dieses Apartment Folter genug war? Er konnte schließlich nicht wissen, dass Chris hier glücklicher war, als sie es seit Verlassen der Grand Avenue je gewesen war. Dass sie hier endlich den Frieden gefunden hatte, den sie ihr Leben lang vergeblich gesucht hatte.
Was würde er sagen, wenn er herausfand, wo sie letzte Nacht gewesen war?
Was würden die anderen sagen?
Was hätte Barbara gesagt, fragte
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