Nur Wenn Du Mich Liebst
sich verlegen in dem Apartment um. »Ich muss jetzt wirklich los.« Sie erhob sich aus ihrem Stuhl. »Und du erzählst Dad nicht...«
»Natürlich nicht.« Chris folgte ihrer Tochter zur Tür, weil sie wusste, dass jeder Einwand sinnlos war. »Können wir das vielleicht irgendwann noch mal machen?«, fragte sie und kam sich vor wie ein nervöser Verehrer.
Ohne sich zu ihrer Mutter umzudrehen, nickte Montana langsam. »Ich ruf dich an.« Sie öffnete die Tür und wollte in den Flur treten.
»Montana?«
Montana blieb stehen, ohne die Hand von der Klinke zu nehmen. »Darf ich dich umarmen? Nur ganz kurz? Wäre das okay?«
Montana drehte sich langsam zu den ausgebreiteten Armen ihrer Mutter um, zögerte, hielt inne, wich ein Stück zurück und schüttelte den Kopf.
Traurig ließ Chris die Arme wieder sinken. Für einen so gewaltigen Schritt war ihre Tochter offensichtlich noch nicht bereit. Nur den Kontakt wiederherzustellen, hatte all ihre Kraft und all ihren Mut erfordert. »Schon gut. Ich verstehe.«
Montana drehte sich wieder zur Tür. »Ich bin froh, dass es dir gut geht. Ich ruf dich an.«
Und dann war sie verschwunden, und die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
Chris streckte die Arme aus, um die Duftmischung aus Babypuder und einem Hauch Zitrone zu umarmen, die noch in ihrem kleinen Flur hing. Sie atmete tief ein, schlang die Arme um den bittersüßen Geruch und drückte ihn fest an ihre Brust. »Ich werde warten«, erklärte sie dem leeren Zimmer.
30
Vicki stellte ihren schwarzen Jaguar auf dem überfüllten Parkplatz neben dem Helen-Marshall-Frauengefängnis ab, die Trennlinie zwischen zwei Parklücken vorsätzlich ignorierend. Sollten sie ihr hinterherpöbeln, dachte sie, als sie ausstieg und über den Parkplatz auf das deprimierend moderne achtstöckige Gebäude zuging, das die Frauenhaftanstalt beherbergte. Die beiden obersten Stockwerke waren für Untersuchungsgefangene reserviert. Wenigstens fuhr sie keinen Camry oder eine Le Sabre oder eine dieser Möchtegern-Luxuslimousinen, die sie manchmal zwei Parkplätze einnehmen sah, als ob es wirklich schlimm wäre, wenn sie einen Kratzer abbekämen.
Sie ging die Treppe hinauf und betrat forschen Schrittes das geräumige, in rosa Granit und schwarzem Marmor gehaltene Foyer, gab dem Sicherheitsbeamten ihre braune Krokodillederhandtasche und den passenden Aktenkoffer zur Durchsuchung und fegte durch den Metalldetektor. Sie nahm ihre Sachen wieder entgegen, trug sich in ein Register ein und ging, den Kopf wohl einstudiert wie in Gedanken verloren gesenkt, zu den Aufzügen auf der rechten Seite der Halle, ein Signal an alle, sie nicht mit irgendwelchen Trivialitäten zu behelligen.
»Vicki«, rief trotzdem irgendjemand. Vicki blickte auf und sah eine Anwältin, die entweder Grace, Joy, Hope oder Faith hieß, einer jener Namen, die Inspiration verhießen und fast immer eine Enttäuschung garantierten. Sie stand winkend unter einem vorwiegend in orange und rot gehaltenen Wandteppich und winkte ihr zu. »Tolles Bild von dir in der Zeitung neulich.«
Vicki bedankte sich nickend, obwohl sie eher verstimmt als dankbar war, weil das Foto sie mürrisch und streng dargestellt hatte, mit einem Ansatz zum Doppelkinn. In den kommenden Wochen musste sie darauf achten, wie sie sich hielt, das Kinn hoch und den Blick gesenkt, selbstbewusst, aber nicht anmaßend und nur einen Hauch kokett. Genug, um zu faszinieren, ohne zu befremden. Es war heikel, aber sie konnte es schaffen. Tracey war nicht die Einzige, die demnächst vor Gericht stehen würde.
Außerdem sollte sie sich in puncto Kleidung lieber an dunklere Farben halten. Gott sei Dank war es Ende September, und die Herbstfarben tauchten wieder auf. Abgesehen davon, dass man darin schlanker aussah, wirkten dunklere Farben auch dramatischer, vor allem gedruckt. Und Vicki ging davon aus, dass sie sich in den kommenden Monaten sehr oft in der Zeitung abgebildet sehen würde. Zwei Artikel über sie waren bereits erschienen, einer im Cincinnati
Enquirer
, der andere im Konkurrenzblatt, der
Post
. Das Porträt des
Enquirer
war deutlich schmeichelhafter ausgefallen. Die
Post
sah sie weiterhin lediglich als ehrgeiziges Anhängsel ihres Mannes. Ein ambitioniertes Luxusgeschöpf, dachte Vicki mit trotzigem Schulterzucken. In dem Artikel zweifelte man ihre Motive, Fähigkeiten und sogar ihre Urteilskraft an, weil sie sich darauf eingelassen hatte, ein junges Mädchen zu verteidigen, dem man den Mord an einer ihrer besten
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