Nur Wenn Du Mich Liebst
öffnete. Vor allem jetzt, Anfang April, wenn die kühle feuchte Luft voller Verheißung war. Wie konnte sie diese Straße verlassen? Wie konnte sie ihre Freundinnen verlassen, die wunderbaren Frauen der Grand Avenue, die sie von ganzem Herzen liebte? Ihre allerbesten Freundinnen. Lächelnd sah Chris jedes ihrer Gesichter vor sich. Trotzdem würden ihre Freundinnen sie verstehen. Sie wussten seit Monaten, dass etwas nicht stimmte. Nur ihre große Scham hatte sie davon abgehalten, ihnen die Wahrheit zu erzählen.
Sie würde packen, Wyatt bei Mrs. McGuinty und Montana von der Schule abholen, in einem Hotel übernachten und dann entscheiden, was als Nächstes zu tun war. Sie hatte schließlich immer noch ihre Kreditkarte, oder nicht? Vielleicht auch nicht. Nein. Tony hatte ihr die Kreditkarten abgenommen, weil sie ohnehin schon genug Schulden hatten und sie so achtlos mit Geld umging. Er hatte Recht. Das Geld zerrann ihr mit beunruhigender Leichtigkeit zwischen den Fingern. Deswegen hatte er ihr die Kreditkarten abnehmen und auch das wöchentliche Haushaltsgeld sperren müssen, um ihr stattdessen täglich nur einen kleinen Betrag zu geben, über den sie auf den Cent genau Rechenschaft ablegen musste.
So schrecklich war das auch nicht. So musste sie sich wenigstens keine Sorgen machen, dass sie zu viel ausgeben könnte, und auch nicht zu weit im Voraus planen, was sie eh nie besonders gut gekonnt hatte, weil ihre Gedanken immer von einem zum anderen sprangen. Deswegen hatten sie auch beschlossen, dass sie nicht mehr fahren sollte, weil sie sich so leicht ablenken ließ, und sie wussten beide, dass sie es sich nie verzeihen würde, wenn sie einen Unfall hätte, vor allem wenn die Kinder betroffen wären. Wozu brauchte sie außerdem ein Auto, seit Tony den ganzen Tag zu Hause war und sie überallhin fahren konnte? Nein, der zweite Wagen war ein unnötiger Luxus gewesen, den sie sich schlicht nicht mehr leisten konnten. Wenn er nicht greifbar war, konnte sie zur Not immer ein Taxi nehmen. »Ein Taxi nehmen«, wiederholte Chris, als sie in den Hausflur trat. »Ein Taxi nehmen. Ein Taxi nehmen.«
Einfach ein Taxi nehmen und losfahren. Aber wohin? Chris ließ Mantel und Handtasche auf den Boden fallen und stieg über den Haufen wie über eine Pfütze. Ich bin im achten Monat schwanger, Himmel noch mal. Wohin soll ich gehen? Nach Hause zu Mami? Was für ein Witz. Mami weilte mit ihrem designierten Ehemann Nummer drei in Kalifornien, während Daddy sich mit Ehefrau Nummer vier in Florida tummelte, obwohl sie bezweifelte, dass einer von ihnen glücklicher war als zu der Zeit, als sie noch zusammen waren. Nein, sie hatten die Familie zerstört, die Kinder entwurzelt, waren zu unbekannten Partnern in die Fremde aufgebrochen und hatten das Leben aller Beteiligten auf den Kopf gestellt, und wozu genau? Damit sie anderswo genauso unglücklich sein konnten. Hatte Chris ernsthaft vor, ihren Kindern das Gleiche anzutun? Und Tony? Und sich selbst?
Konnte sie ihren Mann tatsächlich aus einer Laune heraus verlassen, weil sie einen Durchhänger hatte? Und mehr war es doch nicht. Sie war launisch, wie sie es in der Schwangerschaft immer war. Das war alles. Ihre Hormone machten sie so nervös, veranlassten sie, Tony Widerworte zu geben, jeden Satz, den er sagte, in Zweifel zu ziehen, sich gegen seine Sorge und Aufmerksamkeit zu sträuben. Wollte er nicht nur ihr Bestes? Versuchte er nicht ständig, ihr zu helfen und sie zu schützen, manchmal zur Not auch vor sich selbst? »Du bist dein schlimmster eigener Feind«, erklärte er ihr, und er hatte Recht.
Vielleicht sollte ich eine Therapie machen, entschied sie und schlich die Treppe zum Schlafzimmer hinauf, spürte, wie ihre Füße in den abgetretenen Teppich sanken wie in Treibsand, während ihre Hand auf dem Holzgeländer heftig zitterte. Es müsste mal wieder abgestaubt werden, dachte sie müßig und schleppte sich mit vor Anstrengung verkrampften Muskeln die Stufen hinauf. Ich brauche keinen Therapeuten, ich brauche eine Putzfrau.
Oder einen Anwalt, dachte Chris, als sie laut keuchend den oberen Absatz erreichte. »Einen Anwalt«, wiederholte sie laut und ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, während sie ins Schlafzimmer watschelte und sich auf ihre Seite des Bettes fallen ließ. Sie fühlte sich unbeholfen wie ein gestrandeter Wal. Mit einem heftigen Tritt tat das Baby in ihrem Bauch sein Missfallen über ihre Gedanken kund. »Ist schon gut, Kleiner«, versuchte sie ihn zu
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