Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nur Wenn Du Mich Liebst

Titel: Nur Wenn Du Mich Liebst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
beruhigen. »Ist schon gut.«
    Aber es war nicht gut, und das wusste Chris auch, als sie ihr Spiegelbild im Schlafzimmerfenster sah und die verlorene Seele, die zurückblickte, kaum erkannte. Sie blinzelte, doch je genauer sie hinsah, desto mehr verblasste sie, bis sie nach einer raschen Wendung des Kopfes ganz verschwunden war wie ein verirrter Sonnenstrahl. Was ist mit mir passiert?, fragte Chris sich. Was ist aus mir geworden?
    Im nächsten Moment hatte sie den Telefonhörer in der Hand und tippte, ohne darüber nachzudenken, einen Zweifel zuzulassen oder innezuhalten, eine Folge von Zahlen ein. »Vicki Latimer, bitte«, sagte sie in den Hörer, überrascht, wie fest und stark ihre Stimme klang.
    »Tut mir Leid, Mrs. Latimer ist in einer Besprechung.«
    »Hier ist Chris Malarek. Ich bin eine Freundin von ihr. Es ist sehr wichtig, dass ich sie so bald wie möglich spreche.« War es das? Was genau wollte sie Vicki eigentlich sagen? Hatte sie vor, sie um Rat zu fragen? Um ein Darlehen? Um den Namen eines guten Scheidungsanwalts? »Ich muss nur meine Möglichkeiten kennen«, sagte sie, ohne zu bemerken, dass sie laut sprach.
    »Ich werde es Mrs. Latimer ausrichten«, sagte Vickis Sekretärin.
    Nachdem die Sekretärin aufgelegt hatte, saß Chris immer noch bewegungslos da. Sie war sich nicht sicher, wie lange sie so verharrt hatte, mit hängenden Schultern, die Brüste auf ihrem Bauch, den Hörer ans Ohr gedrückt und blinden Auges zum Fenster starrend, während das Baby in ihrem Bauch überraschend still hielt. Sie war sich auch nicht sicher, wann genau ihr bewusst wurde, dass sie nicht allein war. Vielleicht sah sie aus dem Augenwinkel Tonys Spiegelbild in der Fensterscheibe oder hörte in ihrem Rücken das Geräusch seines Atems. Vielleicht war es eine Schwingung, die den normalen Luftstrom in dem kleinen Zimmer veränderte. Vielleicht roch sie ihn, so wie eine zum Tode verurteilte Gazelle den Hauch des hungrigen Tigers in dem Augenblick wittert, bevor er zuschlägt. Vielleicht hatte sie auch die ganze Zeit gewusst, dass er da war, und eine matte Gewissheit machte sich in ihrem Bauch breit, als das Baby sich bewegte, um den Eindringling willkommen zu heißen.
    »Leg den Hörer auf, Chris«, hörte sie Tony sagen, und seine Stimme klang wie die Schneide eines Sägemessers.
    »Tony...« Das Wort erstarb auf ihrer Zunge.
    »Leg den Hörer auf und dreh dich um.«
    Chris spürte, wie der Hörer von ihrer Schulter glitt und an der Schnur in der Luft baumelnd hängen blieb wie ein Mann am Galgen. Sie machte keine Anstalten, ihn aufzuheben und ihn in die Geborgenheit der Gabel zu betten, sondern beobachtete, wie er über dem stahlblauen Teppich hin und her baumelte wie das Pendel einer alten Standuhr, die die Augenblicke ihrer traurigen, dummen Existenz abzählte.
    »Dreh dich um«, sagte Tony noch einmal.
    Chris atmete tief ein, hielt schützend eine Hand über den Bauch und gehorchte dann langsam.
    »Sieht so aus, als hätte ich beschlossen, doch nicht wegzufahren.« Tony lächelte. »Was ist los, Chris? Freust du dich nicht, deinen Mann zu sehen?«
    Chris beobachtete, wie sich sein Lächeln zu einem höhnischen Grinsen verzerrte, seine rechte Hand sich zur Faust ballte und mit einer Geschwindigkeit, die sie erstarren ließ, auf sie zusauste. Und dann zersplitterte die Welt in einem Blitz aus gleißendem Licht, und sie sah gar nichts mehr.

7
    »Was haben Sie gesagt, wann sie angerufen hat?«
    »Es ist höchstens zwei Minuten her. Direkt bevor Sie reingekommen sind.«
    »Und sie hat gesagt, es wäre wichtig?«
    »Sie hat gesagt, sie müsse Sie sofort sprechen.«
    Vicki zog ihre geschwungenen, fein gezupften Brauen an der Nasenwurzel zusammen und fragte sich, ob mit Barbaras Operation irgendwas schief gelaufen war. »Hat sie aus dem Krankenhaus angerufen?«
    »Das hat sie nicht gesagt.«
    »Was genau
hat
sie denn gesagt?«
    »Nur, dass sie eine Freundin von Ihnen ist und dass sie Sie unbedingt sprechen müsse.«
    »Sie hat nicht angedeutet worüber?«
    »Sie hat etwas davon gesagt, dass sie ihre Möglichkeiten kennen müsse«, antwortete die Sekretärin.
    Welche Möglichkeiten?, fragte Vicki sich auf dem Weg zu ihrem unordentlichen Schreibtisch, wo sie sofort Chris' Nummer ins Telefon tippte und dem folgenden Besetztzeichen lauschte. Welche Möglichkeiten konnte Chris gemeint haben? Sie wählte die Nummer sofort noch einmal, bekam dasselbe Zeichen und knallte den Hörer auf die Gabel. Vicki nahm Besetztzeichen persönlich.

Weitere Kostenlose Bücher