Nur Wenn Du Mich Liebst
alten Ausgabe von
Victoria
entdeckt. Tony hatte voller Schadenfreude von Barbaras Scheidung berichtet. Chris hatte geweint, weil sie sich vorstellen konnte, was Barbara durchmachen musste, und sich gewünscht, ihrer Freundin helfen zu können, obwohl sie wusste, dass sie das nicht konnte. Wie auch, wenn sie nicht einmal sich selbst helfen konnte?
Chris legte Tonys feuchte Hemden auf die Waschmaschine, ließ das Seifenwasser aus dem Becken ablaufen und beobachtete, wie die letzten Seifenblasen um den Abfluss tanzten, bevor sie ins Nichts gesogen wurden. Genauso mühelos war ihr ihr eigenes Leben entglitten, dachte sie. Es war vor ihren eigenen Augen verschwunden.
»Was machst du da drinnen, Chris?«, hörte sie Tony rufen. »Wie lange brauchst du denn, um ein paar Hemden zu waschen?«
»Ich bin fast fertig.« Chris ließ eilig das kalte Wasser laufen, um die Hemden auszuwaschen.
»Ich habe ein bisschen Hunger. Meinst du, du könntest deinem Mann ein Sandwich machen?«
»Sofort.«
»Und achte darauf, dass du die Kragen nicht so verknitterst wie beim letzten Mal.«
Hektisch bemühte sich Chris, die Falten aus den Kragen von Tonys hellblauen Hemden zu pressen, doch es waren alte Hemden, die leicht knitterten. Egal, wie sorgfältig sie sie wusch und bügelte, die Kragen knitterten trotzdem. »Diese verdammten Hemden«, flüsterte sie und spürte aufkommende Panik, während ihre Finger vergeblich den widerspenstigen Stoff durchkneteten. »Diese verdammten blöden Hemden.«
Tony klopfte an die Tür. »Chris, was machst du denn da drinnen, Schatz?« Die Tür ging auf, und er streckte seinen Kopf hinein. Er lächelte. Chris hielt den Atem an. »Ich habe dir ein kleines Geschenk besorgt«, sagte er, und sein Lächeln wurde verschlagen.
»Ein Geschenk?«
»Für später.«
Chris spürte, wie ihr Mund trocken wurde und ihr Herz schneller zu schlagen begann.
»Ich lege es aufs Bett.«
Chris nickte.
»Beeil dich mit den Hemden«, sagte er.
Kurz nach den Elf-Uhr-Nachrichten verkündete Tony, dass es Zeit wäre, schlafen zu gehen. Montana stöhnte, leistete jedoch ansonsten keinerlei Widerstand. Die Jungen waren schon in ihren Zimmern, obwohl Chris bezweifelte, dass Wyatt schlief. Sie stellte sich lächelnd vor, wie er unter der Bettdecke im Dunkeln manisch auf den Knöpfen seines Gameboys herumdrückte. Hast du unter deiner Decke noch Platz für mich, fragte sie stumm und wünschte sich, ebenso einfach zu verschwinden. Doch für sie gab es nirgendwo einen Platz. Das wusste sie. Dafür hatte Tony gesorgt. Vor allem im Leben ihrer Kinder nicht. Für sie war sie kaum mehr als eine hochgejubelte Haushälterin, jemand, den sie entweder herumkommandierten oder gar nicht beachteten.
Bei den Jungen überraschte Chris das nicht – sie hatte mehr oder weniger erwartet, dass sie sich am Vorbild ihres Vaters orientieren würden. Rowdy war mittlerweile sieben, und auch wenn er nach wie vor zu ihr kam, wenn irgendetwas schief lief, wusste sie, dass das bald aufhören würde. Sie spürte schon jetzt, dass sie ihn verlor. Noch sechs Monate, vielleicht ein Jahr – und er würde weg sein. Wyatt war nie ihr Kind gewesen, wie sie traurig begriff. Seit dem Tag, an dem er sich grob aus ihrem Leib gedrängt hatte, war er der Sohn seines Vaters gewesen.
Montana war die größte Überraschung für Chris. Sie hatte sich immer an die Vorstellung geklammert, dass Montana die Manipulationen ihres Vaters, seine wenig subtilen Drohungen und offenen Misshandlungen durchschauen würde. Vielleicht nicht in Rowdys oder sogar Wyatts Alter. Doch mittlerweile musste Montana doch groß genug sein, um zu begreifen, was wirklich los war. Trotzdem schluckte sie unbekümmert jede traurige Geschichte über Chris' angebliche Ungeschicklichkeit, akzeptierte fraglos, dass ihre Mutter eben einfach zu Unfällen neigte, wobei sie die Beweise vor ihren eigenen Augen ebenso ignorierte wie die Furcht in Chris'. Sie hatte wenig Geduld und noch weniger Mitleid mit der Not ihrer Mutter. Wenn Montana überhaupt mit irgendwem sympathisierte, dann mit ihrem Vater. Wie konnte das sein?
Chris erinnerte sich an einen Zeitungsartikel darüber, dass weibliche Geschworene häufig weniger Mitleid mit Vergewaltigungsopfern hatten als ihre männlichen Kollegen. Damit würden sich die Frauen von dem Opfer distanzieren, behauptete der Artikel. Wenn weibliche Geschworene eine Möglichkeit fanden, das Opfer zumindest teilweise für die Tat verantwortlich zu machen, gab ihnen das ein
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