Nur Wenn Du Mich Liebst
du redest nicht mehr mit mir? Was ist los, Chris? Leer gequatscht? Hat dich dein neuer Freund so ermüdet, dass du nicht mehr mit deinem Mann reden kannst? Was ist das überhaupt mit dir? Musst du jedem Typ nachlaufen, den du triffst? Musst du mich so beschämen? Was zum Teufel ist los mit dir?«
»Es tut mir Leid.« Und dann hatte sie in Gedanken bereits versucht, sich gegen die garantiert folgende Brutalität zu wappnen. Der Gedanke an sie mit einem anderen Mann schien ihn zu erregen. Er benutzte seine unbegründeten Vorwürfe als Stimulans. Solche Tiraden waren nur das Vorspiel. Der folgende Geschlechtsverkehr war meist gewalttätig und gemein, seine Faust auf ihrem Mund, um ihre Schrei zu ersticken. Es spielte sowieso keine Rolle. Es hörte sie ohnehin nie jemand.
Seit sie Mariemont verlassen hatten, waren sie häufig umgezogen, hatten zunächst ein Haus in Batavia, dann ein anderes in Anderson Township, eins in Amelia und nun dieses möblierte, zweistöckige Holzhaus in Richmond gemietet. Je weiter sie von ihren Freundinnen wegzogen, desto schlimmer wurden seine Misshandlungen, als ob Tony, nachdem er sich nun unbeobachtet fühlte, frei war, seine ganze Brutalität herauszulassen. Und warum auch nicht? Es war niemand da, der ihn daran hätte hindern können.
Auf dem untersten Treppenabsatz angekommen schob Chris ihre nackten Füße tiefer in die fusseligen, rosa Pantoffeln und lächelte ihr Kinder an, die in dem karg möblierten Wohnzimmer um ihren Vater hockten. Montana machte ihre Hausaufgaben; Wyatt saß auf dem Boden und spielte mit einem Gameboy; Rowdy lag zusammengerollt in Tonys Schoß und guckte
Roseanne
.
»Wohin gehst du?«, fragte Wyatt mit der Stimme seines Vaters und sah Chris vorwurfsvoll an.
»Wäsche.« Chris hielt beinahe wie zum Beweis die drei Hemden in ihrem Arm hoch.
»Das kannst du auch später noch machen, Schatz«, sagte Tony und streckte einen Arm aus. »Warum setzt du dich nicht zu uns und entspannst dich einen Moment.« Er klopfte neben sich auf das abgewetzte blaue Cordsofa. »Komm schon, Chrissy. Die Wäsche läuft dir nicht weg.«
Er klingt so rücksichtsvoll, vernünftig und liebevoll, dachte Chris. Wenn sie nur lernen könnte, ihn nicht zu provozieren, wäre alles in Ordnung. Sie könnten wieder glücklich sein wie zu Beginn ihrer Ehe. Chris schloss die Augen und versuchte, sich zu erinnern, wann sie zuletzt etwas Ähnliches wie Glück empfunden hatte.
»Was ist los, Chrissy? Willst du deinem Mann keine Gesellschaft leisten?«
Chris hörte die unterschwellige Drohung in der leisen Stimme ihres Mannes. Aber da war keine Drohung. Sie hörte Gespenster, genau wie Tony immer sagte. Sie legte ihm Worte in den Mund, zog voreilig falsche Schlüsse und machte sich selbst das Leben schwer.
Unfähig, sich zu rühren, stand Chris im Flur. Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen, ihr ganzer Körper schwankte unsicher hin und her, während sie ihre im Wohnzimmer versammelte Familie betrachtete. Wo pass ich da hinein?, fragte sie sich. Gibt es denn nirgendwo einen Platz für mich?
»Wie du willst«, zog Tony seine Einladung zurück und wandte sich wieder dem Fernseher zu.
Chris blieb weiter wie angewurzelt stehen und versuchte zu entscheiden, welcher Schritt später die geringsten Auswirkungen nach sich ziehen würde.
»Worauf wartest du?«, wollte Tony tonlos wissen, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden. »Auf Weihnachten?«
Rowdy bekam einen kindlichen Lachanfall. »Weihnachten!«, wiederholte er fröhlich. »Worauf wartest du? Weihnachten?«
Weihnachten, wiederholte Chris stumm. Bisher hatte sie kaum einen Gedanken daran verschwendet, dabei waren es nur noch drei Wochen, das Fest stand praktisch vor der Tür. Tony hatte irgendwas davon gesagt, dass er im Laufe der Woche mit ihnen allen gemeinsam einen Baum aussuchen wollte. Vielleicht konnte sie ihn überreden, ihr ein bisschen zusätzliches Geld zu geben, damit sie ihren Freundinnen eine Karte schicken konnte. Sie hatte sie so lange nicht gesehen. Sie hatten keine Ahnung, wo sie war, dass sie noch immer im Großraum Cincinnati wohnte. Dass sie noch lebte.
»Wenn du die Hemden wäschst«, sagte Tony, als sie sich schließlich abwandte, um zu gehen, »kannst du gleich den Kittel mitwaschen, den du trägst. Du siehst echt scheiße aus.«
»Scheiße!«, wiederholte Rowdy laut. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«
»Halt's Maul, Schwachkopf«, befahl Wyatt, und einen Moment glaubte Chris, er würde sie
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