Nuramon
Seite und fürchtete, dass er diesem Moment und den folgenden Stunden nicht gewachsen war. Er musste den Schmerz ertragen, der ihm aus Daoramus Gesicht entgegenstach und von ihren heißen und zitternden Fingern auf ihn übersprang. Denn er musste ihr allen Halt geben, den sie benötigte. Als er sie fragte, ob er ihre Schmerzen mit Magie lindern sollte, lehnte sie ab. Damit hatte er gerechnet, denn sie hatte ihm bereits vorher gesagt, dass sie fürchtete, etwas könnte dadurch fehlgehen.
»Es kommt bald«, sagte Aswaa, und Nuramon wusste nicht, was die Hebamme meinte. Maß sie in Augenblicken, Momenten oder Stunden? Er hatte Menschenfrauen ganze Nächte lang schreien gehört, ehe das Kind da war. Er wusste nicht, ob er es aushalten würde, Daoramu so lange schreien zu hören.
Als Nuramon Borugar bemerkte, der neben Jaswyra stand und etwas sagte, musste er sich gestehen, die Ankunft des Schwieger vaters nicht bemerkt zu haben. So sehr vereinnahmte Daoramu seine Sinne.
Nuramon küsste und streichelte Daoramu. Er sagte ihr, was sie morgen und übermorgen tun würden, und dann redete er sich, Daoramu und das Kind immer weiter in die Zukunft, so wie sie es in den letzten Wochen gemeinsam getan hatten. »Dann werden wir auf dem Meer fahren«, sagte er, »und zu dritt auf das Land zurückblicken. Sie wird deine Liebe zu den Märchen entdecken«, sagte er. »Und meine für die Lieder.« Als sich die Angst zurück in ihre Stirn schlich, sagte er: »Sie ist gesund, sorge dich nicht.« Wann immer er aber schwieg, bat sie ihn darum weiterzusprechen. Als die Zeit zwischen ihren Wehen kürzer und kürzer wurde, sagte sie immer wieder: »Hör nicht auf zu reden, Nuramon.« Und er erzählte ihr alles, was ihm einfiel – vom süßen Trost, dass sie bald ihre Tochter im Arm halten würde, bis hin zur Erinnerung an Alvarudor. Fast schien es ihm, als wäre ihr nicht wichtig, was er sagte, solange sie seine Stimme vernahm.
Schließlich bemerkte er, dass er irgendwann aufgehört hatte Arlamyrisch zu sprechen, sondern auf Elfisch zu ihr redete. Und während sie sich gegen ihn lehnte und der Medikus und die Hebamme am Fußende des Bettes längst ihren Rock weit zurückgeworfen hatten, flüsterte er ihr elfische Liebesgedichte ins Ohr und bemühte sich dabei um Worte, deren Bedeutung er ihr schon einmal erklärt hatte. Und auch wenn seine Stimme ihre Schmerzen nicht vertreiben konnte, erleichterte sie Daoramu den Weg ebenso wie seine Nähe und seine Hände, mit denen er sie immer wieder streichelte.
Nach einem langen Schrei Daoramus, der in einem Wimmern verebbte, herrschte Stille. Nuramon küsste sie, und als er Unsicherheit in ihren Augen sah, schaute er an ihr hinab, über das blutige Kleid hinweg in die Arme der Hebamme Aswaa. Da war sie, ihre winzige Tochter. Sie setzte zu einem Schrei an; nicht so verzweifelt, wie Nuramon es von einem Kind erwartet hätte, das aus dem warmen Körper der Mutter in die kalte Welt entrissen wurde. Es war eine kleine Stimme, wie die eines Kätzchens. Die blasse Haut des Mädchens war blutverschmiert, aber das störte Nuramon ebenso wenig wie das Stück Nabelschnur an ihrem Bauch. »Da ist sie«, flüsterte er, und Daoramu weinte nun nicht mehr vor Schmerz, sondern vor Glück.
Aswaa hüllte ihre Tochter in eine Decke und trug sie lächelnd an sie heran. Daoramu seufzte, als sie das Kind endlich im Arm hielt. Nuramon tauschte ein Lächeln mit ihr und strich dem Neugeborenen dann sanft über die Ohren, die zu stumpf für Elfenohren, aber nicht zu spitz für Menschenohren waren. Daoramu wischte sich die Tränen fort, streichelte dem Kind über die Wange und lachte leise. »Unser kleines Orakel«, flüsterte sie. »Nerimee!«
Nuramons Zauber ließ Daoramus Schmerzen verschwinden. Nun, da ihre Tochter sicher auf der Welt war, fürchtete sie sich nicht mehr vor der Magie. Als Rargu, der Hofmedikus, die Hebamme Aswaa und schließlich auch ihre Eltern gegangen waren, war es beinahe wie in Teredyr. Nylma und Yargir waren mit Waragir da, und Ceren stand vor dem flackernden Kaminfeuer.
Nuramon hielt Daoramus Hand, während sie wieder und wieder über die spitzen Ohren des schlafenden Kindes strich. »Halb Elf, halb Mensch«, sagte sie. »Und wunderschön.«
Ceren hatte Nerimee eine Weile stumm betrachtet. Nun sprach sie zum ersten Mal seit der Geburt des Kindes. »Du hast recht, Daoramu. Halb Elf, halb Mensch. Als Erwachsene wird sie altern, aber langsamer, viel langsamer als ein Mensch. Und sie wird zaubern
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