Nuramon
eigenes Tun hin den letzten Versuch einer Einigung gewagt hatte.
Daoramu verspürte wegen ihres Scheiterns weder Schuld noch Ärger. Sie hatte nur ihr eigenes Leben verpfändet und ihr Gefolge mit dem Angebot eines Kompromisses nach Hause geschickt. So lasteten keine anderen Leben auf ihrem Gewissen. Mit dem erneuten Beginn des Krieges war sie lediglich von einer Geisel des Königs zu einer Gefangenen geworden. Der Unterschied zwischen den Gemächern im Palast und der Zelle in der Gefängnisfestung war gewaltig, und doch genoss sie noch zahlreiche Privilegien, die sonst nur Anführern gewährt wurden. Sie durfte sich im Baderaum waschen, im Speisesaal ihre Mahlzeiten zu sich nehmen, und wenn sie noch ein Gefolge gehabt hätte, so hätte man es in den großen Kerkerraum neben ihrer Zelle gesperrt, in den sie durch ein Sichtfenster hineinschauen konnte. Sie aber war eine Anführerin ohne Gefolge, und schräg gegenüber befand sich ein Kerkerraum voller Menschen ohne Anführer. Sie waren vor zwei Tagen hergebracht worden.
Die Gefangenen schienen aus einer geschlagenen Siedlung zu stammen. Es waren nur wenige unter ihnen, die eine Rüstung trugen, und da auch Kinder und Greise darunter waren, vermutete Daoramu, dass es sich um Dorfbewohner handelte, die gegen die Krone rebelliert hatten. Immerhin wuchsen in Kriegszeiten die Ansprüche des Herrschers an das einfache Volk rasch ins Unerträgliche.
Was immer die Menschen getan hatten, die Wachen ließen sie leiden. Sosehr sie sich bemühten, die Zeit in diesem Gemäuer für Daoramu behaglich zu machen, so sehr schikanierten sie die Neuankömmlinge. Nur abends bekamen die Fremden Wasser und Nahrung, und es war kaum mehr als die Essensreste der Wachen. Und obwohl es auch dort in der großen Zelle eine kleine Öffnung zur Sickergrube geben musste, drang der Gestank der Exkremente dieser eingepferchten, bedauernswerten Leute über den Gang bis zu Daoramu herüber.
Die Privilegien, die sie als Abgesandte des yannadrischen Fürsten genoss, blieben von den anderen Gefangenen nicht unbemerkt. Als Sarogul, einer der Wächter, sie am Abend aus ihrer Zelle holte, rief ihr einer der anderen Gefangenen mit grober Stimme etwas entgegen, das sie nicht verstand. Der Mann, dessen Augen sie durch den Sichtschlitz sehen konnte, sprach kein Arlamyrisch, sondern irgendeine andere Sprache.
Sarogul grinste. »Das klang wie ein Fluch, oder?«, fragte er.
»Manche Sprachen klingen so«, sagte Daoramu. »Vielleicht klingt Arlamyrisch in ihren Ohren auch wie ein Fluch.« Sie lächelte den Wächter an.
Er deutete zur Kerkertür. »Die kommen aus Teredyr. Die sprechen eigentlich alle Arlamyrisch. Meine Mutter sagt immer: Alte Sprachen können in Flüchen ewig leben.«
Daoramu lächelte Sarogul höflich an, aber sie hatte nicht vergessen, wie der Wächter, der hier freundlich parlierend mit ihr den Gang entlangschritt, sogar die Kinder und Alten unter den neuen Gefangenen mit Stockhieben in den Kerkerraum getrieben hatte. Sie hatte die Freude in seinem Gesicht gesehen, als er an ihrer Zelle vorübergekommen war. Und als er zurückgekehrt war und sie hinter ihrer Tür bemerkt hatte, da hatte es ihm die Schamröte ins Gesicht getrieben. Nun tat er so, als wäre nichts geschehen, und sie ließ es so erscheinen, als hätte sie nichts bemerkt.
Noch immer lächelnd, ließ Daoramu sich durch die kleine Halle in den Speisesaal führen. Hier erwartete sie Yenwara, ihre Hüterin. Das vierzehnjährige Mädchen stammte aus einer Adelsfamilie, die dem Königshaus nahestand. Mirugil selbst hatte sie dem Mädchen bereits im Palast anvertraut. Jetzt sahen sie einander nur noch morgens und abends. Das Mädchen war von ihrer Betreuerin zu ihrer Kerkermeisterin geworden.
Trotz allem hatte Daoramu eine Schwäche für Yenwara. Dem Mädchen haftete nichts von der Hinterlist des varmulischen Königs an. Ihre Eltern waren in Ungnade gefallen und standen in der Stadt Ralomer unter Hausarrest. Auch sie war eine Geisel am Hof. Sie liebte den König nicht, doch das forderte Mirugil offensichtlich nicht. Er verlangte nur Gehorsam, und Yenwara hatte seinen Befehl, sich um Daoramus Wohl zu kümmern, nicht nur aufs Wort, sondern auch im Sinne ihres Herrn befolgt.
Yenwara war beliebt, weil sie im Namen der Königin, der Ältesten unter Mirugils Ehefrauen, wohltätig war und so ein wenig des Ruhms ihrer Herrin auf sie fiel. Da sie – anders als die Königin – nahbar war, schlug der Dank ihr entgegen. Auch hier in der
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