Nuramon
weiß, wovon ich spreche.« Er blickte zu Boden und schluckte. Der Teredyrer ließ nicht oft durchblicken, dass er einst ein Gefangener der Varmulier gewesen war. »Wir sollten unsere Rache nehmen«, sagte er dann. »Die Rache ist etwas Gutes. Sie lässt uns Kraft für jenen Tag schöpfen, an dem wir stark genug sein werden, unsere Stadt zurückzuerobern.«
Verwundert musterte Nuramon seinen Kampfgefährten. Diese Rachegelüste erschienen ihm ungewöhnlich für jemanden wie Gaeremul, der in der Schlacht mit so viel Übersicht und Gelassenheit agierte. Dennoch schien er den meisten Teredyrern aus dem Herzen zu sprechen, denn seine Worte wurden mit großer Zustimmung aufgenommen. Als diese jedoch in Beschimpfungen der Gefangenen überging, hob Yangor erneut die Hand. »Hast du noch etwas dazu zu sagen, Relegir?«, fragte er seinen Neffen.
Der Bote schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, meine Worte werden nichts mehr ändern«, sagte er.
» Ich habe noch etwas zu sagen«, sprach Nuramon und trat von einem Raunen begleitet vor Yangor.
Die Stirn des Stadtältesten legte sich in tiefere Falten. »Du hast dich bislang nicht in unsere Beratungen eingemischt.« Er musterte Nuramon mit großen Augen. »Aber ich gewähre dir dieses Recht, Nuramon. Was hat ein Alvaru über das Leben und den Tod zu sagen?«
»Vor euch stehen drei Lebewesen, deren einzige Schuld darin besteht, den Befehlen ihres Anführers gefolgt zu sein. Fragt der einfache Krieger nach den Absichten seines Herrn, wenn er auf ein Schlachtfeld schreitet? Haben diese Männer Gräuel verübt, die eure Krieger nicht verübt hätten?«
»Nein«, sprach Relegir in das plötzliche Schweigen der Versammelten hinein.
»Dann haben sie sich nicht mehr zuschulden kommen lassen als jeder andere, der in diesem Kampf gefochten hat.« Er wies auf Varramil. »Ihr lasst die Herren am Leben, und die einfachen Krieger werden hingerichtet. Und dabei seht ihr nicht den Pfad, der zur Befreiung eurer Verwandten führt, die nun mit den Varmuliern gen Süden ziehen.«
»Wüsstest du denn, wie das zu bewerkstelligen ist?«, fragte Yangor.
»Wenn wir uns beeilen, ja. Wenn die Gefangenen erst einmal getrennt wurden, ist es zu spät. Wir könnten morgen früh mit einigen Reitern über den Nordpass ziehen. Dort oben gibt es einen Albenstern, über den wir auf die Albenpfade gelangen. Sie verlaufen im Süden günstig. Wir könnten die Gefangenen befreien, ehe die Varmulier damit rechnen.«
»Das ist Wahnsinn«, sagte Yangor. »Wir brauchen zwar nur wenige Krieger, um uns hier gegen irgendwelche Kletterer zu verteidigen. Aber wir haben nicht mehr genug Leute, um einen Zug der Varmulier zu überfallen.«
Gaeremul schüttelte den Kopf. »Wenn unsere Leute erst einmal in Werisar sind, werden sie in der Gefangenenfestung untergebracht. Ich war dort. Ich habe sie von innen gesehen. Und ich konnte mich erst befreien, als ich aus der Festung fortgebracht wurde.«
»Dein Wissen und deine Erfahrung brauche ich«, sagte Nuramon zu Gaeremul. »Du sagst mir, was du über die Festung weißt, und begleitest mich mit einigen Kriegern.« Er wandte sich an Bjoremul. »Und wenn du deinen Herrn in Freiheit sehen willst, musst auch du uns helfen.«
»Mehr Schuld, als dem König die Klinge an die Kehle zu halten, kann ich mir wohl kaum aufbürden«, sagte Bjoremul und blickte fragend zu seinem Herrn. Varramil senkte den Blick und schwieg.
Yangor erhob sich und trat vor Nuramon. »Du hilfst uns also, die Gefangenen zu befreien, und dafür soll ich nicht nur Dorgal und Varramil freilassen, sondern auch die drei anderen?«
»Ich will nichts anderes als einen Gefangenenaustausch«, sagte Nuramon. »Nur dass wir den König von Varmul umgehen. Denn man kann ihm nicht vertrauen.«
Daoramu
Zur gleichen Zeit, da Nuramon sich entschied, den Teredyrern beizustehen und die Krieger der Stadt auf die Albenpfade zu führen, wurde in Werisar eine junge Frau namens Daoramu aus ihrem edlen Gästequartier in die Gefängnisfestung abgeführt. Sie war eine Abgesandte des Fürsten von Yannadyr, und sie wusste, was der Wechsel des Quartiers vom Palast in den Kerker bedeutete: Es herrschte Krieg zwischen Yannadyr und Varmul.
Die Hoffnung, dass Daoramus Herr den Kompromiss annehmen würde, den sie mit König Mirugil ausgehandelt hatte und für den sie als Pfand in Werisar, so weit entfernt ihrer Heimat, zurückgeblieben war, war nun zerstört. Vielleicht war sie bei ihrem Herrn sogar in Ungnade gefallen, weil sie auf
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