Nuramon
angefangen? Wie bist du aus der Verzweiflung entkommen?«
Er fasste ihre zitternde Hand. Nichts erinnerte mehr an die starke Kriegerin, die alle bewunderten. »Ich gestehe, dass ich einige Male mit dem Gedanken spielte, das Leben zu beenden. Aber ich glaubte immer, dass irgendwo das Schicksal auf mich wartete. Und ich suchte danach. Zunächst verbissen. Erst als ich euch in Teredyr half und mich einfach fallen ließ, stieg das Glück empor. Und all das, was verloren war, wurde aufgewogen durch etwas Neues. Auch du kannst etwas Neues beginnen. Wie eine Wiedergeborene.«
»Im Biora werde ich 41 Jahre alt. Und ich fühle mich viel älter. Wir Krieger verschleißen schneller als andere. Wo also könnte für mich etwas Neues liegen?« Sie strich sich über den linken Arm und hielt sich die Schulter. »Ich habe in Varlbyra mehr Wunden erlitten als je zuvor in meinem Leben. Und es fühlt sich nach all den Jahren immer noch fremd an, von dir geheilt zu werden. Die Narben und Flecken erinnern mich an Wunden, die mich hätten töten sollen.« Sie blickte zu Boden. »Yargir und ich wollten in Varlbyra sterben oder aber zu großen Helden aufsteigen. Wir hatten nichts mehr zu verlieren. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass wir getrennt würden.«
»Lass mich dir eine Frage stellen, die mich immer dann beschäftigt, wenn ich Menschen trauern sehe«, sagte Nuramon.
Sie schaute ihn verwirrt an.
»Glaubst du an den Ahnenkult?«, fragte er.
»Gewiss«, sagte sie leise.
»Dann ist Yargir ins Jenseits eingegangen. Er spricht zu dir und mir und zu seiner Familie im Traum. Macht dir das nicht Mut? Dass sein Körper hier liegt und seine Seele irgendwo da draußen ist, dir zuflüstert und vielleicht wissend über das Schicksal lächelt, das dir noch bevorsteht?«
Sie legte den Kopf zur Seite. Eine Weile saß sie stumm da, schließlich aber sagte sie: »Vielleicht zweifle ich zu sehr.«
»Der Zweifel frisst den Glauben. Er kann hilfreich sein, wenn man durch Erkenntnis an Wissen gelangt und die Notwendigkeit zum Glauben einfach verschwindet. Aber bis wir zur Erkenntnis gelangen, können wir glauben, wünschen und hoffen.« Er schaute ihr Gesicht hinab, dann den Hals, bis hinunter auf ihre Brust. Da war ein magischer Funke. »Trägst du den Almandin?«, fragte Nuramon.
Nylma griff an ihren Gürtel und hob das Kleinod so weit hoch, wie es das Lederband zuließ. »Hier ist er. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Glück, das er mir brachte, wirklich noch haben will.«
Der Almandin, der in Varlbyra noch entleert gewesen war, strahlte nun wieder einen Hauch von Magie ab. Obwohl sie ihn hochhielt, glomm noch immer etwas anderes an Nylmas Brust. Langsam näherte sich Nuramon mit der Hand und tastete nach der Magie. Als seine Handfläche das Wollhemd berührte und zwischen Nylmas Brüste fuhr, packte die Kriegerin sein Handgelenk. »Was tust du?«, fragte sie und zog seine Hand fort, hielt sie aber nach wie vor fest umklammert.
Er schaute ihr in die Augen. Und was immer sie in seinem Gesicht sah, sie löste die Hand von ihm und ließ die seine wieder an sich heran.
Nuramon spürte den magischen Glimmer durch das Hemd hindurch. Er war ganz schwach. »Knöpfe es ein Stück auf«, sagte er.
»Sag erst, was es ist. Hab ich mir eine magische Wunde eingefangen?«
»Hier ist ein Hauch von Magie. In deiner Brust.«
Sie schüttelte den Kopf und löste drei Knöpfe aus ihren Schlaufen. »Wenn du ein Spiel mit mir spielst, töte ich dich«, sagte sie.
»Ich weiß«, antwortete Nuramon.
Sie öffnete das Hemd, und Nuramon zögerte, als er in ihre glänzenden Augen blickte. Dann aber fuhr er mit den Fingern zwischen ihre Brüste. »Genau da ist es«, sagte er, als ihn der magische Hauch unter den Fingerspitzen kitzelte.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass mich irgendetwas erwischt hätte. Die Schilde haben mich eigentlich immer vor den Zaubern der Ringträger beschützt.«
»Hat dich vielleicht ein Dolch in der Brust geritzt? Es könnte eine magische Klinge gewesen sein.«
Sie schüttelte erneut den Kopf. »Nicht an der Stelle«, sagte sie.
Nuramon löste die Hand von ihrem Brustbein.
»War das etwa die Höhe, auf dem du den Almandin getragen hast?«, fragte er.
»Ja, sogar genau.«
Nuramon erhob sich und ging im Raum auf und ab. »Wie ist das möglich?«, sprach er und musste an Daoramu und den Stein der Ce ren denken, aber auch an Mandred, der einst – dem Tode nahe – einen Teil der Macht der beseelten Eiche Atta Aikhjarto
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