Nuramon
ein Blick auf das schlafende Antlitz Daoramus und ihre sich ruhig hebende und senkende Brust konnte die Vorstellung nicht vertreiben. Erst als sie die Gäste und Bediensteten auf der Treppe hinter sich gelassen hatten und sich im untersten Keller nach links wandten und so der Pforte der Ahnenhallen den Rücken kehrten, retteten sich seine Gedanken zum bevorstehenden Zauber. Denn nun überschritten sie die Schwelle zu den Magischen Hallen. Hier auf dem Gang spürte er all die Magie, die durch die Steinadern pulsierte und nur darauf wartete, ans Werk zu gehen.
In der großen Halle wartete Nerimee mit Oregir und Sawagal. Während Borugar und Jaswyra sich an den Rand des Saals auf Stühle setzten und einander an den Händen hielten, schob Nerimee die rote Decke zurück. Nuramon hob Daoramu mit der Hilfe der beiden Alvarudorer Magier von der Trage auf das schmale Bett, das Nerimee hatte errichten lassen und welches so hoch gelegen war, dass sie sich nicht bücken mussten, um Daoramu auf den Zauber vorzubereiten.
Nuramon knöpfte seiner Frau das Hausgewand wieder auf und entblößte sie, während Nerimee ihr die Kette mit dem weißen Stein der Ceren vom Hals nahm. Yendred, Lyasani und Salyra zogen an einem Tisch neben dem Bett Tuchstreifen aus dem abgekühlten Sud, den Nerimee aus Blättern der Birkeneiche gemacht hatte. Sie reichten die Tücher an, und Nuramon wickelte sie gemeinsam mit Nerimee um die Arme, die Beine und den Körper Daoramus. Schließlich war sie bis zum Hals verhüllt. Als sie auch die Füße umschlossen hatten, löste Nerimee den weißen Stein der Ceren von der Kette, legte ihn in die linke Hand Daoramus und umwickelte Hand und Stein. Nuramon nahm von Nylma den Almandin entgegen, bettete ihn in Daoramus rechte Hand und verband auch diese. Schließlich war Daoramu von den Fußspitzen bis zum Hals von dem Stoff umhüllt, der die Magie aufgreifen und in die Haut führen sollte.
Schon kamen Oregir und Sawagal mit dem Hemd, dem Rock und dem Mantel, die Nerimee und Nuramon gefertigt hatten. Die Klei dungsstücke bestanden aus einem groben, aber empfindlichen Flachs geflecht und waren mit rotem Lack bestrichen, der die Pflanzenadern ummantelte und schützte.
Als Daoramu in die Kleidung gehüllt war, spürte Nuramon die Tränen in seinen Augen. Es würde nun gewiss nicht mehr lange dauern, und seine Liebste würde erwachen. Sie alle verharrten, tauschten Blicke und schauten immer wieder auf die Schlafende hinab. Borugar und Jaswyra kamen ebenfalls hinzu. Und auch sie standen da, schwiegen und betrachteten ihre Tochter.
»Wie eine Elfenfürstin«, sagte Ceren, die mit einem Mal neben Nuramon war.
Yendred und Borugar nickten ebenso wie Nuramon. »Lasst uns sie endlich aufwecken«, sagte er schließlich.
Auf einen Wink Nerimees hin verließen Oregir und Sawagal die Halle und verschwanden in einem der Gänge, die hinab zu den Wurzeln der Birkeneiche führte. Während Nerimee ihre Großeltern zu den Stühlen zurückbegleitete und ihnen beruhigende Worte zusprach, machten sich Nuramon und Yendred mit Nylma, Lyasani und Salyra daran, Daoramu vom Bett zum Becken hinüberzutragen. Sie legten sie ins Wasser. Auf dem Grund hatten sie ein Nest aus Kies angelegt, umgeben von Edelsteinen und den Wegsteinen der Ceren. Daoramu sank so weit hinab, dass nur noch ihr Gesicht wie eine Insel aus dem Wasser ragte.
Yendred schloss Lyasani und Salyra in die Arme, dann zogen sich die beiden Kriegerinnen zum Königspaar zurück. Yendreds Platz lag auf der Steinbahn zur Rechten des Beckens, der Nerimees zur Linken. Nylma blieb am Kopfende stehen. Sie würde nicht nur aufpassen, dass Daoramus Haupt über Wasser blieb, sondern auch die magischen Steine ins Spiel bringen, die am Beckenrand lagen und in denen zahlreiche Zauber schlummerten.
Nuramon ging ans Fußende des Beckens, wo der Orakelstein auf einem groben, hüfthohen Steinpult in einem Nest aus Zweigen ruhte. Diese stammten ebenso von der Birkeneiche wie die Wurzeln, die vom Nest in einem Gewirr ins Wasser reichten.
Nerimee zog sich ihre Schuhe, Yendred sich seine Stiefel aus. Sie stellten sich mit nackten Füßen auf die Steinbahnen, die von den Säulen kommend seitlich auf das Becken trafen. Nuramon stand zwischen zwei weiteren magischen Adern, die vor ihm im Pult aufeinandertrafen. Die Macht würde nicht durch ihn hindurchdringen, sondern durch den Orakelstein. Und auch Nylma am Kopfende würde sich nicht der Magie auf den Steinadern stellen.
Ceren ging zu Nylma
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