Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
das morsche Holz und die wuchernden Algen ab und stufte beides als ungenießbar ein – eine Kategorie, zu der in der Vorstellung einer Ratte nur die wenigsten Dinge zählen.
Bald hatte Krötes feine rosa Nase sie zum Ziel des nächtlichen Ausflugs geführt: dem Proviantbeutel von Arjas. Mit zuckenden Barthaaren kroch Kröte hinein und schüttelte sich vor Wonne, weil der fremde Essensduft so herrlich war. In den letzten Nächten hatte sie die getrockneten Fleischstreifen zu ihrer Lieblingsmahlzeit auserkoren. Und tagsüber, wenn Arjas seinen Zwillingsbruder anschrie und ihn ein gefräßiges Pickelreptil nannte, fuhr Kröte sich, sicher auf Fescos Schulter hockend, mit flinken Pfoten über die Schnauze und schleckte sich den letzten Rest der Köstlichkeit von den Krallen. Schließlich war Kröte von Haus aus eine Überlebenskünstlerin und Genie-
ßerin und als Diebin sogar noch geschickter als Fesco und der Herr der Füchse. Diesmal war sie gut ge-
launt und wollte großzügig sein. Kröte verputzte ihren nächtlichen Festschmaus nicht gleich, sondern zog ihn aus dem Beutel. Sie würde ihn bis zum Morgen verstecken, nicht anrühren – nein, gewiss nicht –
und dann Fesco schenken. Er schien nämlich ein bisschen kränklich.
Mit viel Mühe hatte Kröte es endlich geschafft, die Beute aus dem Rucksack zu ziehen. Rasch schnüffelte sie über den Fleischstreifen hinweg – wie herrlich er roch! – und betastete ihn, um sicherzugehen, dass noch alles dran war. Dann begann sie sich nervös den Rücken zu putzen, bis ihr einfiel, dass sie sich ja be-eilen musste: Schließlich saß sie vor Nahrung, die noch nicht in Sicherheit war! Sie klemmte den Fleischstreifen zwischen die Zähne – die Liebe zu Fesco musste unendlich sein, dass sie in diesem Augenblick der Versuchung widerstand, den ganzen Streifen in drei Happen hinunterzuschlingen! Gerade wollte sie loslaufen, da ließ sie etwas innehalten.
Ohne den Fleischstreifen aus der Schnauze zu nehmen, spitzte Kröte die runden Ohren. War da nicht etwas? Ihre Nackenhaare sträubten sich blitzartig –
und die Nackenhaare einer Ratte irrten sich nie! Sie ließ die Beute los. Ihr kleines Herz zog sich zusammen. Kröte stieß ein schrilles Fiepen aus, gerade in dem Augenblick, in dem die Gefährten aus dem Schlaf schraken.
Mareju erwachte, als etwas Kaltes, Glitschiges sein Handgelenk umschloss. Erschrocken hob er den
Kopf. Kaum dass er sich bewegt hatte, ging ein Ruck durch seinen Arm, und etwas zerrte ihn vom Floß.
Mareju schrie, als sich dasselbe schleimige Etwas um seinen Hals wickelte, dann erstickte seine Stimme.
Die Gefährten waren sofort wach. Die Finsternis kreiste vor Kavehs Augen, doch er hatte sein Schwert bereits gezogen. »Mareju?«
Der Ritter strampelte und schlug krächzend um sich. Etwas zischte aus dem Wasser – Mareju zuckte zusammen, als sich ein strammes Seil um seine Brust schnürte. Nill, die direkt neben ihm gelegen hatte, sah als Erste die dunklen Schlingen, die Mareju ins Wasser zerrten.
Ohne nachzudenken sprang sie auf die Beine und klammerte sich um ihn. Die Schlingen spannten sich, Nill rutschte über das Holz. Allein würde sie ihn nicht halten können. Mit einem Satz stand Kaveh über ihnen und hackte mit dem Schwert durch die Luft. Mareju rang keuchend nach Atem, als sich die erste zerschlagene Schlinge von seiner Brust löste. Er zappelte mit den Armen und Beinen, bis Kaveh alle Schlingen zerschnitten hatte.
»Mareju!«, keuchte er, das Schwert noch mit beiden Händen umklammernd. Mareju wankte, dann kroch er japsend vor dem Wasser weg.
»Was, zum –« Nill stieß einen Schrei aus. Etwas schnellte auf sie zu. Schleimige, kalte Fesseln schlangen sich um ihre Arme und zogen sich straff.
Ruckartig wurde sie vorgezogen, direkt zum Wasser hin. Binnen eines Herzschlags hatte sich eine zweite
Schlinge um ihren Fuß gewunden. Nill verlor das Gleichgewicht und fiel – als sie links und rechts zwei Arme auffingen. Irgendwo an ihrer Seite schrie eine Stimme, die sie entfernt als Kavehs erkannte.
»Das sind Algen!«
Kaum dass Kavehs Schwert die Schlingen an ihrer rechten Hand zerschlagen hatte, schlossen sich neue um ihren Oberarm, enger und fester als zuvor.
»Nill!«, schrie Scapa, der an ihrem linken Arm zerrte.
Nill glaubte in der Mitte zu zerreißen. An ihren Händen und ihrem Fuß, bald auch an ihrer Brust zog das glitschige Algengewächs, an ihrem linken Arm Scapa, am rechten Kaveh. Nun kamen auch die anderen Gefährten zu
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