Nybbas Nächte
Seelen entwickelt. Er nimmt jetzt Kinder.“
„Wie kommst du zu der Annahme, mich würde interessieren, was der Luzifer treibt?“
„Dich juckt das so wenig wie mich. Aber es dürfte Joana interessieren, sollte sie davon erfahren. Ich glaube nicht, dass sie das kalt lässt.“
Touché. Elias’ Worte waren nichts anderes als eine knallharte Drohung. Erpressung – und sie wirkte. Nicholas’ Respekt wuchs parallel zu seiner Wut. „Kleiner. Was willst du?“
„Erinnerst du dich, was Lillian sagte? Der Luzifer frisst Seelen guter Menschen, aber sie müssen sie ihm freiwillig geben. Ich habe recherchiert und ein wenig in alten Aufzeichnungen geblättert. Die Runde der anderen sechs Fürsten hat ihm einst verboten, die Seelen von zu jungen Menschen zu nehmen. Kinder sind leichtgläubig. Die anderen Dämonen befürchteten, dass der Luzifer es übertreiben und zu viele Homo sapiens zerstören würde. Daher haben sie es ihm untersagt. Nett, nicht wahr?“
Nicholas stieß verächtlich den Atem aus. „Vernünftig. Letztlich sind wir auf sie angewiesen. Kaum ein Dämon kann sich an seelenlosen Zombies nähren und nur Fleischesser an anderen Dämonen. Ohne eine gewisse Zurückhaltung bei den Menschen würden wir uns auf Dauer selbst schaden.“
„Eben. Aber für Fürsten gelten die üblichen Gesetze nicht. Darum musste der Luzifer einen einzigartigen Eid leisten, in dem er schwor, keinem Unberührten die Seele zu nehmen. Die Menschen sollten die Möglichkeit bekommen, sich fortzupflanzen, ehe sie ihm als Opfer zur Verfügung standen. Jungfrauen waren demnach vor ihm sicher.“ Elias kämmte sich mit den Fingern durch das stachelige Haar. Was immer er spielte – es schien ihm Spaß zu bereiten.
„Waren?“, fragte Nicholas.
„Waren, ja. Ich habe entdeckt, dass er eine Lücke im Gesetz gefunden hat.“
„Lass hören.“
„Er nimmt den Kindern nicht die Seele, sondern das Versprechen, diese später zu bekommen. Er braucht die Zustimmung des Menschen, aber nichts zwingt ihn in einen zeitlichen Rahmen. Er holt sich die Erlaubnis, solange sie noch jung und ahnungslos sind, der Dreckskerl. Dann markiert er sie, um sie später einzusammeln.“
„Gewieft“, meinte Nicholas trocken. „Was haben Joana und ich damit zu tun? Oder betrifft es wieder mal Laureen?“
Elias zuckte bei dem Namen zusammen, schüttelte jedoch entschieden den Kopf. „Ich traf vor gut zwei Wochen auf ein Mädchen. Ihr Name ist Annie, im Sommer wurde sie acht Jahre alt. Sie versprüht die Aura einer abgrundtief schwarzen Seele, weil sie markiert wurde. Von ihr weiß ich, dass der Luzifer seine Jagd auf dich vorbereitet. Und darum, Kumpel, bist du ihr was schuldig.“
„Ich bin niemandem etwas schuldig.“ Das war nicht ganz richtig. Aber ein Menschenkind gehörte nicht zu den zwei Wesen auf der Welt, für die er so empfunden hätte. „Und du, Kleiner, solltest auch aufhören, die Verantwortung für alles, was geschieht, bei dir zu suchen.“
Für einen Moment bröckelte die Fassade, und Elias gab einen Hauch Verzweiflung zu erkennen. „Ich muss ihr helfen, Nick. Sie hat mich berührt, und … ich kann es nicht erklären. Ich will ihr helfen.“
Nicholas verstand. Elias wollte dieses Kind retten, in der Hoffnung, dadurch Laureens Geist zur Ruhe zu bringen. Laureen, die Elias beschworen hatte, von beiden geliebt und von Nicholas getötet worden war. Sie verfolgte sie noch immer, in jedem Moment, den sie einander in die Augen sehen mussten. Nicholas ließ sich von dieser Präsenz nur selten irritieren. Elias trieb sie schier in den Wahnsinn.
Er boxte leicht gegen Elias’ Oberarm. „Hör auf mit den lächerlichen Versuchen, mich unter Druck zu setzen, hast du verstanden? Das funktioniert nicht. Bitte mich einfach. Vielleicht helfe ich dir, wenn ich kann.“
Die beiden Reisetaschen mit ihren persönlichen Sachen waren gepackt. Kleidung, Laptop, ein paar CDs und Bücher, allen voran der uralte Black Beauty Roman, den ihre Mutter ihr nachgeschickt hatte. Ein Erbstück ihres Vaters und ein Schatz von immensem emotionalem Wert.
Nervenstärkende Kaubonbons, das Asthmaspray und alle Papiere befanden sich in ihrem kleinen, roten Lederrucksack, den sie statt einer Handtasche trug. Viel mehr besaß Joana kaum, daher musste sie nicht überlegen, was sie mitnehmen und was zurücklassen wollte. Zuletzt bettete sie den Schrumpfkopf zwischen die Wäsche in eine der Taschen. Als Joana sich mit ihm gegen den Angriff eines Clerica verteidigt hatte,
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